Der Friedenswall des Hadrian

 

Der Hadrianswall im Norden Englands ist die erste Mauer in der Geschichte der Menschheit, die ein ganzes Land durchzogen hat, sie reichte von Küste zu Küste, ein lineares militärisches Sperrwerk. Im Jahre 43 hatten die Römer unter Claudius Teile Britanniens erobert, die vorhandenen Stämme und Fürstentümer zu civitates zusammengefasst und eine römisch kontrollierte Selbstverwaltung eingeführt. Jahrzehnte später rückten die Legionen und Kohorten bis nach Schottland vor, zogen sich aber bald wieder zurück auf eine Grenze, die annähernd der heutigen Grenze zwischen Schottland und England entspricht. Der Rückzug hatte etwas mit dem Essen zu tun. Roms Soldaten ernährten sich vorwiegend von Getreideprodukten. Im südlichen Schottland aber lag mageres Grasland. Davor, ungefähr südlich einer Linie von Carlisle nach Newcastle, war Getreideland, Wohlstandsland.

 

Die nördlich dieser Linie lebenden Segoven und auch die wilden Pikten hatten kein Wohlstandsland. Häufig zogen sie nach Süden und holten sich dort plündernd, was bei ihnen nicht gediehen war. In den Jahren zwischen 117 (Hadrians Regierungsantritt) und 120 scheinen im Norden besonders schlechte Zeiten geherrscht zu haben, denn häufiger als sonst fielen die Nordlichter ein und plünderten römische civitates – ein unangenehmer Steuerausfall für die Besatzungsmacht.

 

Kaiser Hadrian, darauf bedacht, das römische Imperium zu konsolidieren, begab sich im Jahre 122 nach Britannien, um eine Lösung des Problems zu finden. Nach einem Modell musste nicht lange gesucht werden, die Römer waren bereits im Bau von Grenzwällen, dem Limes, erfahren. Solche Grenzwälle mit Aufwerfungen und Palisadenbefestigungen gab es in Germanien, in den Donauprovinzen Pannonien, Dakien, Moesien und in Afrika. Für den Bau einer Mauer quer durch das Land sprach, dass zwischen dem heutigen Carlisle und Corbridge schon eine befestigte Militärstraße existierte - und dass sich dort die schmalste Stelle zwischen den Küsten der Irischen See und der Nordsee anbot. 122 begannen die Arbeiten, sechs Jahre später stand ein formidables Befestigungswerk.

 

Und so sah es auf einer Länge von 80 römischen Meilen (120 Kilometer) aus: Nach Norden hin wurde ein etwa drei Meter tiefer und 8 Meter breiter Graben ausgehoben. In rund 6 Metern Entfernung vom Grabenrand wurde eine Mauer errichtet, 5 bis 6 Meter hoch, die Krone bis zu 3 Meter breit, mit einer Art steinerner Brustwehr nach Norden hin. Parallel dazu verlief die befestigte Militärstrasse und verband die Küsten. Dazwischen lag ein militärisches Sperrgebiet von unterschiedlicher Breite und ohne Bewuchs. Nach Süden hin schloss eine Erdaufwerfung an, ein Graben, und auf der anderen Seite des Grabens wieder eine Erdaufwerfung, vallum genannt. Ab 124 wurde das Konzept verändert, die Forts an der alten Militärstrasse im Hinterland wurden zum Wall verlegt. Im Abstand von 3 bis 13 Kilometern entstanden Kastelle, die je nach Grösse 500 bis 1000 Mann Unterkunft boten. Pro Meile wurden auf der Mauer zwei kleinere steinerne Wachtürme errichtet und am Ende jeder Meile ein grösserer Trum für eine Wachmannschaft. Gebaut wurde diese Anlage von den drei in Britannien stationierten römischen Legionen sowie freiwilligen Hilfstruppen. Jeder Centurion war mit seiner Hundertschaft für den Bau von 46 Metern verantwortlich.

 

Die Pikten und Segoven empfanden den Hadrianswall als ein empörendes Ärgernis, und nicht wenige der nordbritischen Stämme teilten diese Meinung. Die Ausgesperrten machten die ärgerliche Mauer zum Ziel permanenter Angriffe, und die Römer mussten immerfort die Mannschaften verstärken. Zuletzt dienten ständig 10 000 Mann an Hadrians Friedenswall. Zwar wuchsen um die Forts herum Dörfer, und im Schatten des Bauwerks errichteten ausgediente Soldaten blühende Farmen, auch Herbergen, Tempel, Badehäuser – aber die Mauer selbst beanspruchte derart viel Militärpersonal, dass eine Lösung gefunden werden musste: noch ein Wall. Unter Kaiser Antonius Pius (136 – 161) rückten die Römer vor und errichteten um 141/142 zwischen Firth of Forth und Firth of Clyde eine Vorbefestigung, 59 Kilometer lang, den Antoniuswall. Er war weniger solide gebaut als das Hadrianswerk – aber er entlastete dieses personell.

 

Der Antoniuswall war weniger als zwanzig Jahre besetzt (142 – 155, 158 – 163), die Nordhorden überrannten schließlich das Bauwerk an der schmalsten Stelle des heutigen Schottland, schlugen die Römer zurück und eroberten vorübergehend auch Teile der Hadriansmauer (183/184). Nur mit Mühe gelang es den Legionen, des Kaisers Bauwerk in der Hand zu behalten. Es musste kostspielig ausgebessert und modernisiert werden (205 – 207), es wurden auch mehrere Tore gebaut. Die folgenden 200 Jahre tat die Mauer ihren Dienst, mehr schlecht als recht. Dann begann die Völkerwanderung, Invasoren kamen über See, da nutzte keine Mauer mehr. 410 zogen die Römer ab. Sie ließen zurück, was keine Touristenattraktion ist wie die Mauer in China oder die in Berlin. Besichtigen aber kann man die respektablen Überreste des Bauwerks, so bei Housesteads oder Corbridge, kilometerlang.

 

Nick Barkow; in: MERIAN: Englands Mitte und Norden, Seite 94