Pubertät
Plötzlich sind sie renitent und reizbar. Schule ist blöd, die Alten nerven. Wenn Kinder pubertieren, gerät der Familienfrieden unter Beschuss. Wie Eltern, Lehrer und Schüler ihn gemeinsam retten
Das Ende der Kindheit begann mit einer Klassenfahrt. Eine Woche hatte die bis dahin recht anschmiegsame Tochter mit ihrem Jahrgang beim Segeln in Holland zugebracht - und dort augenscheinlich Umwälzendes erlebt. "Sie war wie verwandelt", erzählt ihre Mutter Chris Linke. "Als Dena aus dem Bus ausstieg, wusste ich: Das ist nicht mehr mein Kind."
"Ich habe öfter schlechte Laune als früher. Und Lust auf Ärger. Ich streite auch häufiger mit meinen Eltern. Vielleicht liegt das an der Pubertät. Auf Schule habe ich null Lust. Das einzig Gute daran ist, dass man seine Freunde trifft. Ich telefoniere jeden Tag ein bis zwei Stunden. Wenn meine Mutter hören würde, was wir so reden, würde sie wohl den Stecker ziehen." Tibor Werner, 13, besucht die siebte Klasse des St.-Anna-Gymnasiums in München
Die Heftigkeit des Wandels habe sie überrascht, sagt die 42-jährige. "Meine Tochter war auf einmal total verschlossen. Ich kam nicht mehr an sie ran. Als sei ich der Feind in ihrem Haus." Was geschehen war? Das Normalste der Welt. Die 15-jährige hatte sich auf der Klassenreise verliebt, sie war im Morgengrauen am Meer entlangspaziert und hatte genossen, was sie selbst als "grenzenlose Freiheit ohne elterliche Aufpasser" beschreibt. "Sie hatte festgestellt", bilanziert die Mutter, "dass sie auch ohne ihre Eltern glücklich sein kann."
Eine schöne, aus Erzeugersicht indes nicht ganz schmerzfreie Erkenntnis. Zumal wenn sie eine Ära des Umbruchs einläutet, die manche Familie an ihre Grenzen und oft darüber hinaus führt.
Wie ein Damoklesschwert fürchten viele Eltern die Pubertät ihrer Töchter und Söhne. "Warte nur, bis deine erst mal so weit sind", unken die Eltern Pubertierender bereits, wenn die eigenen noch im Sandkasten buddeln. "Große Kinder, große Sorgen", orakelt es seit jeher. Medien melden beinahe täglich pubertätsbedingte Dramen: ob Teenager-Schwangerschaften, Schülermisshandlungen oder Handy-Horrorvideos, ob Drogenmissbrauch oder Schulabbrüche. Die Frontberichte pubertätsgeplagter Erziehungsberechtigter und die Entgegnungen ratgebender Experten füllen Regalmeter, in Internet-Foren beklagen sich Alte und Junge über die Uneinsichtigkeit des jeweils anderen Lagers. Tenor der Teenies: Pubertät ist, wenn die Eltern anfangen, schwierig zu werden.
Was kommt da auf uns zu? Wie brenzlig ist diese Zeit wirklich - und wie kommt man als Vater, Mutter, Lehrer oder eben Pubertist ohne allzu große Blessuren durch? Lässt sich täglicher Streit vermeiden - und soll man das überhaupt?
"Die Pubertät ist schwieriger geworden“, bemerkt der Schweizer Psychologe Allan Guggenbühl. Und fügt trocken hinzu: "In erster Linie für die Eltern.“ Viele betrachteten die Pubertätsausraster ihrer Kinder als Beleg erzieherischen Scheiterns. Dieses resignative Alles-umsonst-Gefühl, das Mutter Chris Linke immer dann beschlich, wenn die Tochter mühsam anerzogene Verhaltenskodizes über Bord warf - vorübergehend zumindest.
Was die Sache nicht leichter macht: Pubertät beginnt immer früher. Ende der 70er waren die Mädchen im Alter von 12,75 und Jungen mit 13,06 Jahren geschlechtsreif. Im Jahr 2010 werden deutsche Teenager im Schnitt mit zehn Jahren in die Pubertät kommen, manches Mädchen hat seine erste Regel heute schon im Alter von acht. Vor allem Mädchen belaste die Dissonanz körperlicher, seelischer und geistiger Reife, sagt die Jenaer Entwicklungspsychologin Karina Weichold. Für Eltern, bemerkt der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann, bedeute das frühere Pubertieren, dass nur mehr das erste Lebensjahrzehnt eines Kindes ein elterngeprägtes sei.
"Es sind nicht die großen Dinge wie erster Freund und Verhütung - es sind die Kleinigkeiten, die zermürben. Da bringt man seiner Tochter 15 Jahre lang bei, vor dem Essen nichts zu naschen, und sie verputzt eine Tafel Schokolade, wenn das Mittagessen schon auf dem Tisch steht. Alles umsonst - dieses Gefühl hatte ich oft. Wäre ich mit ihr verheiratet gewesen, hätte ich mich scheiden lassen. Es ist ein Machtkampf. Weil ich wollte, dass sie das Abi macht, wollte sie es partout nicht. Heute ärgert sie sich, dass sie die 10. wiederholen musste. Ich glaube, man muss zulassen, dass man sein pubertierendes Kind nicht jede Minute des Tages liebt. Ich will auch nicht mehr alles ausdiskutieren. Wenn sie rumlaufen will wie der Gruft entstiegen: bitte. Durch unser gemeinsames Buch habe ich auch ihre Version kennen gelernt. Seither gelingt es mir besser, Vertrauen zu haben. Zu 90 Prozent verstehen wir uns heute super." Mutter Chris Linke, 42, hat gemeinsam mit ihrer Tochter ein Buch über die Pubertät geschrieben
"Meine Mutter und ich hatten früher eine ganz enge und tolle Beziehung. In der Pubertät ist das kaputt gegangen. Ich glaube, es liegt daran, dass wir uns sehr ähnlich sind. Ich wollte mich für mich entwickeln und habe versucht, mich abzugrenzen. Durch krasse Klamotten oder indem ich stinkig war. Es hat mir Spaß gemacht, sie auf die Palme zu bringen. Mit der Idee, nach der mittleren Reife von der Schule zu gehen, wollte ich meine Mutter eigentlich nur provozieren. Wir haben monatelang darüber gestritten. Außerdem hatte ich einfach keinen Bock zu lernen und auch keine Zeit. Man vergeudet seine Tage damit, sinnlos in der Stadt herumzulaufen und zu warten, dass was passiert. Aber so war ich eben drauf. Es ist ärgerlich, dass ich dadurch ein Schuljahr verloren habe, aber ich fühle mich in der neuen Klasse viel wohler und habe mich extrem verbessert. Und natürlich will ich das Abi machen." Dena Linke, 17, ist Gymnasiastin und besucht die 10. Klasse einer Gesamtschule in München
Dass nicht nur Hormonwallungen, sondern auch Umbaumaßnahmen im Gehirn die bisweilen skurrilen Symptome der Pubertät auslösen, mag Eltern entlasten. Und auch, dass 80 Prozent der Jugendlichen die Pubertät ohne nennenswerte Schäden überstehen, ist beruhigend. Allein: Weniger krisenanfällig wird die rebellische Zeit dadurch nicht.
Tatsächlich ist das statistische Risiko von Verletzungen in keiner Phase des Lebens so hoch. Die meisten Suchtkarrieren, Essstörungen und etliche psychische Krankheiten nehmen in der Pubertät ihren Anfang. Wenngleich nicht ohne Vorwarnung. "Aus Langzeitstudien wissen wir, dass jene fünf bis zehn Prozent, die eine sehr problematische Pubertät erleben, meist schon im Kindergartenalter verhaltensauffällig waren“, betont Pubertätsforscherin Weichold.
Zugleich dauere der "Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt immer länger", stellt Gunther Klosinski fest. Er ist Leiter der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter an der Universität Tübingen. Einer Generation von Nesthockern und Langzeitauszubildenden fällt die Ablösung vom Hotel Mama - finanziell wie emotional - zunehmend schwer.
Dabei zähle, so Klosinski, die "mehr oder weniger vollzogene Ablösung vom Elternhaus“ zu den zentralen Entwicklungsaufgaben der Pubertät. "Damit ist keine räumliche Trennung gemeint, sondern ein Hinterfragen von vielem, was vorher selbstverständlich war."
Ohne Reibung und Funkenflug sind diese Abnabelung und die notwendige Hinwendung zu Gleichaltrigen kaum möglich. Dass eine Generation angestrengt altersloser Eltern bemüht ist, ihren Nachwuchs in puncto Jugendlichkeit auszustechen, erleichtert die Abgrenzung nicht. "Eltern können nicht die Kumpel ihrer Kinder sein", mahnt der Psychologe Guggenbühl. "Ihre Rolle ist die des Gegenspielers." Weil Kinder heute "Selbstverwirklichungsthema" seien, so Guggenbühl, träfe deren plötzliche Ablehnung Eltern oft wie ein Schlag. "Dabei ist es richtig und wichtig, dass die Beziehung zu den Eltern in der Pubertät entpersönlicht wird.“
Die Rebellion freilich verläuft höchst unterschiedlich - sowohl was Dauer als auch Intensität angeht. Etliche Eltern schwören, ihr Nachwuchs hätte die Pickelära ohne nennenswert auffälligen äußeren Aufruhr überstanden. Andere wähnen schon im Grundschulalter beunruhigende pubertäre Vorboten.
"Meine Tochter geht seit kurzem voll auf Konfrontation", konstatiert Eva Hallermayr, Mutter einer 13-Jährigen. "Fast jeder Streit eskaliert, weil sie versucht, mich zu provozieren, und dabei fast immer den Nerv trifft." Im Zimmer wie im Kopf der Tochter herrsche Chaos, selbst auf sanfte Ermahnungen reagiere die Siebtklässlerin mit einer Eingeschnapptheit von der Sorte: "Ihr liebt mich nicht, und dann verreck ich eben." Am liebsten würde die berufstätige Mutter, die noch drei jüngere Töchter durch die Reifezeit bugsieren muss, einen "Crash-Kurs Pubertät" belegen. "Man rödelt sich so durch den Alltag und fragt sich, ob man's richtig macht."
Pubertät, sagt Kirsten Retzer, Mutter einer 14-Jährigen und eines zwölfjährigen Sohnes, "ist wie eine zweite Geburt. Man wird auch als Eltern in eine neue Welt geworfen, in der alles anders ist als zuvor." Ehemann Lenz fühlt sich auf dem Prüfstand: "Sie stochern in deinem Leben herum, um zu wissen, ob es als Vorbild taugt. Sie fragen, wie glücklich und selbstsicher du wirklich bist. Und sie legen die Finger in die Wunden.“
Die Journalistin Chris Linke beschloss, dem nach der Klassenfahrt-Initiation ihrer Tochter hereinbrechenden Zickendrama schreibend zu begegnen. Gemeinsam mit Dena verfasste sie das soeben erschienene Buch "Lass mich doch mal ausreden", in dem beide aus ihrer Sicht den aufreibenden Alltag in einem Pubertätshaushalt schildern. "Die Zeiten, in denen ich wusste, was gut für mein Kind ist, sind vorbei", notiert die Mutter, als die Tochter aus heiterem Himmel ankündigt, das Gymnasium hinzuschmeißen. "Ich wollte sie eigentlich nur provozieren“, konzediert die heute 17-Jährige.
Anti aus Prinzip. "Wenn ich rot sage, sagt er grün", erzählt ein Vater. Sein 16-jähriger Sohn ließ sich Dreadlocks filzen, "die ihm keine fünf Minuten standen". Er kiffte eine Weile, sackte in der Schule ab, zu Hause gab es ständig Krach, und natürlich nervten die Alten nonstop. In die Lehrersprechstunden, berichtet eine andere Mutter, schleiche sie sich heimlich nach Unterrichtsbeginn. Und wehe, ihre 15-jährige Tochter erwische sie dabei. Ultrapeinlich! Die Tochter zickt, die Mutter zetert, der ganz normale Wahnsinn. Bei vielen Eltern beobachte sie, sagt die Mutter, dass diese, zermürbt von den täglichen Auseinandersetzungen, die Leinen losließen. Nicht mehr wüssten, wo ihr Junge abends abhängt oder bei wem ihr Mädchen wirklich übernachtet.
Wer mit Lehrern, Eltern und Therapeuten spricht, hört derlei immer wieder: Die Zahl der Kinder, die aus Überforderung, Kumpelhaltung oder falsch verstandener Laisser-faire-Gesinnung zu früh komplett aus der Obhut entlassen werden und schon fast alles dürfen, wächst. Für fatal hält das Kurt Kreppner, Psychologe am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPI). "Kinder fühlen sich im Stich gelassen, wenn man ihnen sagt, du bist jetzt alt genug, und es ist mir egal, was du machst." Psychologe Guggenbühl bringt's auf den Punkt: "Jugendliche wollen Eltern, die sich aufregen."
Sinnhafte Regeln, so Kreppner, seien für Pubertierende wie ein Geländer. "An dieser Begrenzung reiben sie sich, aber sie gibt ihnen auch Halt." Abmachungen und Regeln sollten ein altes Prinzip in der Familie" sein, bekräftigt Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge. Klassische Streitpunkte wie Ausgehen, Mithilfe im Haushalt, Schule, Wochenendgestaltung, Übernachtungen bei Freunden und Taschengeld lassen sich leichter handhaben, wenn man sich auf klare Absprachen geeinigt hat.
Kaum ein Thema ist bei Eltern wie Pubertierenden so gefühls- und konfliktbeladen wie das Sorgengebiet Schule, hat Rogge beobachtet. Während sich die einen als Antreiber und Kontrolleure versuchten, gingen die anderen in der Verweigerungshaltung auf. Rogge: "Dabei sind Leistungseinbrüche, geringe Anstrengungsbereitschaft und Klassenwiederholungen in dieser Zeit vollkommen normal."
"Bizarre Eltern-Kind-Diskussionen" habe er beim Thema Schule aufgenommen, berichtet Kreppner, der für das MPI untersuchte, wie Eltern und Pubertierende kommunizieren. Da werde mit dunklen Prophezeiungen ("Später wird es dir schlecht gehen!“) hantiert, mit Verboten und Drohungen. "Gefährlich und kontraproduktiv", wie Kreppner findet. Ich-Stärke und Antrieb entwickelten Jugendliche viel eher, wenn sie das Grundvertrauen der Eltern spürten, nach dem Motto: Du wirst es schon gut machen.
„Paul ist manchmal wie in einer anderen Welt. Als sei seine Wahrnehmung eingeschränkt. Ich wundere mich über sein Desinteresse an der Familie und sein Abschotten. Das birgt Konfliktpotenzial, aber man muss lernen, das nicht persönlich zu nehmen. Ich lasse ihn, auch wenn er oft seltsam antriebslos ist. Weil ich gemerkt habe, dass es nichts bringt, wenn ich sage: Steh mal auf, tu doch mal was. Man muss diese Momente erwarten können. Seit einem Jahr ist ihm vieles peinlich, auch seine Eltern, daran muss man sich gewöhnen. Auf Kommunikation, Höflichkeit, Manieren legen meine Frau und ich großen Wert, und da lassen wir auch nicht locker. Ich glaube schon, dass er dieses Wertesystem verinnerlicht hat.“ Vater Jürgen Zschornack, 49, Architekt:
"Im Prinzip habe ich ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Aber es ist mir manchmal etwas peinlich, wenn ich in der Schule mit ihnen gesehen werde. Das geht meinen Freunden ja auch so. Meine Eltern lassen mir viel Freiheit. Aber sie sehen es nicht gern, wenn ich endlos Computer spiele. Mit meiner Mutter habe ich deshalb oft gestritten. Meine Eltern wollen die Bildschirmzeiten reglementieren, aber irgendwie franst es doch immer wieder aus. Ich höre viel HipHop, die Texte sind zum Teil etwas wortgewaltig, auch das gefällt meinen Eltern nicht. Meine Vertrauensperson ist meine große Schwester. Sie ist 27 und wohnt in Berlin. Ich telefoniere täglich mit ihr und kann ihr alles sagen." Sohn Paul Zschornack, 15, in der 9. Klasse einer Realschule
Den Balanceakt zwischen Kontrolle und Vertrauen schildert das Gros der Eltern als schwierigste Herausforderung. Natürlich sollten sie nicht zulassen, „dass ihr Kind in der Schule scheitert", so Jugendtherapeut Klosinski. Aber Druck und intensive Überwachung, gibt Jan-Uwe Rogge zu bedenken, führten häufig dazu, dass es sich nur noch mehr verweigere.
Dabei mangelt es nicht an grundsätzlicher Einsicht. "Die Jugendlichen haben längst verstanden, dass schulischer Erfolg ausschlaggebend für ihren Lebensweg ist", weiß Mathias Albert, Mitherausgeber der letzten Shell-Jugendstudie. Wären da nicht die zahlreichen anderen Dinge, die im Moment einfach viel wichtiger sind. Musik, Klamotten, Partys, Verliebtsein, Abhängen, stundenlanges Telefonieren und Chatten - alles außer Schule eben.
Die Hannoveraner Schulpsychologin Barbara Kubesch hat in 22-jähriger Praxis ganze Hundertschaften Pubertierender betreut. "Kinder, die in dieser Zeit der Verunsicherung fähig sind, Selbstwertgefühl aus guten Leistungen zu ziehen, kann man gut über die Leistungsschiene motivieren", stellt sie fest. Schwieriger seien Jugendliche, die stark auf eine Peergroup hören, in der gute Noten schlechtes Image bedeuten. "So eine Gruppendynamik kann allenfalls ein Lehrer - etwa durch klassenweise Belohnung nach gemeinsamer Anstrengung - durchbrechen", so Kubesch. Eltern könnten da kaum gegensteuern. Bei besonders verhängnisvoller Klassendynamik oder Überforderung rät die Psychologie-Oberrätin an der Schulbehörde Niedersachsen auch zum Schulwechsel.
Letzte Rettung versprechen sich manche Eltern von der Landverschickung ihrer renitenten Nachkommen. "Die stärkste Nachfrage verzeichnen wir in den Jahren der Pubertät", so Hartmut Ferenschild, Geschäftsführer der Internatsberatung der deutschen Landerziehungsheime. Um aus "eingefahrenen Konflikten" herauszufinden, biete sich ein Internat oft als Lösung an. "Wir gehen professioneller mit Pubertät um", ergänzt Pater Paulus, Leiter des Jungeninternats der Benediktinerabtei Ettal. "Das Internat arbeitet über die Peergroup und klare Lebensstrukturen. Und anders als die Eltern haben wir ständig Kinder in der Pubertät."
Das haben die Lehrer an Regelschulen auch - und reißen sich häufig gerade deshalb nicht um die hormonbeschossenen Klassen, in denen es nach Aftershave und Achselschweiß riecht. "Die achten und neunten Jahrgangsstufen sind in der Regel weniger beliebt", umschreibt ein Gymnasiallehrer das kollegiale Vermeidungsverhalten. Liegt es daran, dass, wie Max-Planck-Forscher Kreppner unterstellt, "die meisten Lehrer schlicht zu wenig Ahnung haben, was in der Pubertät eigentlich mit den Kindern passiert"?
In der Lehrerausbildung kommt das Thema kaum vor. In der Praxis jedoch, und weil Schulen die Erziehungsaufgabe immer stärker zuwächst, bleibt Pädagogen gar nichts anderes, als sich dem Phänomen zu stellen. Ob Streitschlichter- und Tutorenprogramme, Drogen- und Gewaltprävention, schulinterne Nachhilfe, Lernpatenschaften, Girls- und Boys-Days und zahllose Interessen-AGs - die meisten weiterführenden Schulen bieten inzwischen pubertätsbegleitende Projekte an. So belegten bisher bundesweit 36.000 Lehrer ein "Lions Quest“-Seminar, das die Lions Clubs anbieten. Rollenspiele, Konzentrationsübungen und Themenkreise, die Lehrer in ihren Klassen veranstalten, sollen die Sozialkompetenz und das Selbstvertrauen der Heranwachsenden stärken. Der Wirksamkeit ist wissenschaftlich belegt.
Als eines der ersten Bundesländer plant Thüringen, das von der Jenaer Entwicklungsforscherin Weichold entwickelte Programm namens IPSY in den Lehrplan aufzunehmen. Eigens in Workshops trainierte Lehrer sollen Schüler der fünften, sechsten und siebten Klassen in puncto "Lebenskompetenz" stärken.
„Natürlich war ich nicht begeistert, als meine Tochter erklärte, dass sie jetzt einen Freund habe und die Pille nehmen wolle. Aber ich bin überzeugt, dass das nicht durch Verbote aufzuhalten gewesen wäre. Schule war lange ein tägliches Gekeife, vor allem, wenn ich versuchte, mit ihr zu lernen. Ein Nachhilfe-Institut brachte auch nichts. Bis Anna selbst auf die Idee kam, sich von der älteren Schwester ihres Freundes Nachhilfe geben zu lassen. Dieses Mädchen hat für sie fast Vorbildfunktion. Annas Noten haben sich merklich verbessert. Sie macht sich jetzt sogar einen genauen Arbeitsplan, hat sich einen Kalender angeschafft und setzt sich klare Ziele." Mutter Kirsten Retzer, 46, Kanzleiassistentin und Yogalehrerin
"Bei uns geht’s hoch und runter. Manchmal verstehen wir uns gut, dann wieder kracht es. Meine Mutter beschwert sich immer, dass ich im Haushalt zu wenig helfe und dass man in meinem Zimmer nichts findet. Ich kann dazu nur sagen: Ich finde immer alles, was ich suche. Schule nervt zwar, ist aber doch wichtig. Ich lerne eigentlich jeden Tag. Und ich schreibe mir auf, wie ich mich verhalte, und versuche, mich zu verbessern. Mit meinem Vater kann ich offen über alles reden, und das tue ich auch. Manchmal wünsche ich mir von meinen Eltern mehr Kontrolle bei den Schulthemen, weil ich mich selbst eben noch nicht so gut kontrollieren kann." Tochter Anna Retzer, 14, besucht die 8. Klasse eines Gymnasiums in Neuried
Auch auf das Prinzip der „differenzierten Koedukation“, bei der Mädchen und Jungen in bestimmten Fächern getrennt unterrichtet werden, besinnen sich immer mehr Schulen. "Disziplinprobleme, die durch das Imponiergehabe vor dem jeweils anderen Geschlecht entstehen, lassen sich so abschwächen", bemerkt Daniel Sell, Lehrer und Jungenbeauftragter der städtischen Realschulen in München. Generell erleichterten "Ironie und Humor" den Umgang mit giggelnden und gockelnden Pubertisten, findet Sell. "Es ist ein Spiel. Sie wollen es ausreizen. Und als Lehrer darf man es nicht zulassen."
Als Mutter manchmal schon. Als Tochter Dena ankündigte, ihr ohnehin wenig kleidsames Gothic-Outfit durch einen Irokesen-Haarschnitt ergänzen zu wollen, rastete Chris Linke aus. "Ich beende hiermit meine Erziehung", kapitulierte sie. "Mach, was du willst."
Beleidigt trollte sich die Tochter zum Friseur. Heulte auf dem ganzen Weg, empört, dass "meine Mutter mich einfach so im Stich ließ". Und ließ sich die Haare schneiden. Tatsächlich einen "Iro“? Ach was – "nur die Spitzen“.
Pubertät - Die wilden Jahre. Wie Eltern mt ihren Kindern besser zurechtkommen - und Lehrer mit ihren Schülern. FOCUS Schule 3/2006, Seite 10 ff.