Zielrichtung: Lernen zu lernen

 

Lerner wissen gewöhnlich, was sie zu lernen haben. Mit dem Wie hingegen sind sie meist allein gelassen. Sicherlich: Unterrichtende versuchen auf ihre Weise, das Lernen zu erleichtern – sonst wäre es kein Unterrichten. Aber damit ist dem Wie des Lernens nicht hinreichend Genüge getan. Der Einfluss der Unterrichtenden kann hier nur recht begrenzt sein, weil jeder Lerner in hohem Maße sein Lernverhalten selbst steuert. Wie beispielsweise ein Schüler an eine Textaufgabe oder einen Aufsatz herangeht, entzieht sich letztlich dem unmittelbaren Einfluss des Lehrers. Die Selbststeuerung ihrerseits zu verändern, indem man zu "effektiverem" Lernverhalten anleitet, müsste schon aus diesem Grunde ein wichtiges Ziel sein. Hinzu kommt aber, dass solche Befähigungen über den Unterricht hinaus fortwirken können. Was für die Inhalte (das "Was") selbstverständlich angestrebt wird, das nämlich die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten dem Lerner in der Zukunft (!) nützlich sein sollen, müsste noch mehr für das Lernverhalten gelten. Denn die Inhalte, mit denen sich Menschen zu beschäftigen haben, wechseln häufig – um so mehr ist der effektive Umgang mit Lernstoff wirklich etwas "fürs Leben".

 

    Psychologisch ausgedrückt ist die Beherrschung von Lern- und Denkstrategien, die auf verschiedenartige Fächer und Probleme anwendbar sind, die wohl markanteste Erscheinungsform eines unspezifischen Transfers. Beziehen lässt sich diese allgemeine Zielsetzung wiederum auf alle drei vorherigen Zielbereiche – auf Wissen, auf Fertigkeiten und auf produktives Denken – und liegt insofern quer zu diesen bzw. erweitert sie. Wir möchten sie aber eigens hervorheben, weil sie einen besonderen Aspekt enthält. Da nämlich unter dem Stichwort "Unterricht" in erster Linie an die Organisation des Lernens durch eine unterrichtende Person gedacht wird, geht der Aspekt der Selbststeuerung des Lernenden leicht verloren. So kann sich nach unseren Erfahrungen kaum ein Studierender erinnern, in der Schule zu Lernstrategien angeleitet worden zu sein. Möglicherweise kennen sich da die meisten Lehrer selbst zu wenig aus.

 

    Was alles zu vermitteln wäre, können wir nur stichwortartig skizzieren. Wichtig ist zunächst, dass es nicht eine bestimmte optimale Lernstrategie geben kann, sondern eine breite Palette von Strategien erforderlich ist, die für unterschiedliche Anforderungen geeignet sind.

 

    So ist beim Wissenserwerb der Unterschied zwischen sinnarmen und sinnhaltigen Materialien zu beachten. Bei sinnarmen Materialien wie Bezeichnungen, Zahlen usw. braucht man elaborative Einprägungstechniken wie den Gebrauch von bildhaften Vorstellungen oder Reimen. Einzuplanen sind auch hinreichend viele und zeitlich gut verteilte Wiederholungen. Zudem wird häufig empfohlen, für denselben Stoff nach Möglichkeit mehrere Sinneskanäle zu benutzen, etwa durch Lesen, durch Anhören, durch eigenes Sprechen, durch Schreiben oder Malen. Dies gilt nicht nur für sinnarmes Material.

 

    Für komplexes sinnhaltiges Material sind, neben der elaborativen Verknüpfung mit dem Vorwissen, vor allem Techniken des "Organisierens" zu erlernen, so etwa das Anfertigen von netzartigen Strukturbildern oder Begriffshierarchien. Sofern aus Texten gelernt wird – und das ist bei selbständigem Lernen der Normalfall – geht es auch um Lesestrategien wie: Bedenken der Leseabsicht, gezielter Wechsel verschiedener Leseformen (überfliegend, reflektierend u.a.), selektives Lesen anhand von selbstgestellten Fragen, Eingrenzen des "Nichtverstandenen", Anwendung geeigneter Reduktionstechniken (Markierungen, Überschriften setzen usw.).

 

    Das Einüben von Fertigkeiten wird häufig auch als "Training" bezeichnet, ein Begriff, der immer an eine hohe Eigenaktivität des Lerners denken lässt. Von Interesse sind hier unter anderem: schrittweises Vorgehen, die zeitliche Verteilung der Übungsdurchgänge, die deutliche Registrierung von Lernfortschritten. Bei kognitiven Fertigkeiten, die breit transferiert werden sollen, ist es wichtig, möglichst verschiedenartige Übungsbeispiele zu wählen. Dies gilt auch für die Beherrschung von Lernstrategien, die ja selbst als komplexe Fertigkeiten angesehen werden können. Für umfassende Handlungen (z.B. eine Examensarbeit schreiben) müssen gewöhnlich unterschiedlichste Strategien (einschließlich solcher für produktives Denken) herangezogen werden. Für die Handlung als Ganzes spielt vor allem das Planen und Entwerfen eine wichtige Rolle.

 

    Das produktive Denken ist nur in dem Maße "produktiv", wie die Person selbständig zu ihren Erkenntnissen gelangt. Insofern ist hier besonders offenkundig, dass das eigentliche Lehrziel die Hilfe zur Selbsthilfe, also die Vermittlung von Problemlösestrategien sein muss (z.B. Zielanalyse, Brainstorming). Statt von "Lernen des Lernens" würde man hier allerdings eher von "Lernen des Denkens" sprechen.

 

    Wie die Forschung gezeigt hat (und viele Menschen aus eigener Erfahrung wissen), führt die Kenntnis von Strategien allerdings nicht ohne weiteres dazu, dass sie vom Lerner auch eingesetzt werden. Wichtig hierfür ist sicherlich zum Gutteil die Motivation. Wichtig ist aber offenbar auch der Blick auf jenen Ort, an dem sich die entscheidenden Prozesse abspielen - der Blick in den eigenen Kopf. Dazu gehört etwa das Denken über das eigene Denken, Wissen über das Wissen u. dgl. Solcher Art lernpsychologischer Selbstreflexion ist in der Psychologie heute meist unter dem Begriff der Metakognition zu finden. Es ist dies ein (etwas unpräziser) Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Prozessen, deren grundsätzliche Bedeutung für effektives Lernen mittlerweile außer Zweifel steht. Man muss also beispielsweise wissen, was man weiß und was man nicht weiß, um zu entscheiden, wo man sich noch bemühen muss.

 

    Pädagogisch interessant sind nach Kluwe vor allem das Erkennen und Steuern (a) der eigenen Aufmerksamkeit (z.B. sich je nach Wichtigkeit stärker oder schwächer konzentrieren), (b) des eigenen Verstehens (z.B. wissen, ob man etwas verstanden hat oder nachfragen muss), (c) des Einprägens (z.B. ungenügend beherrschte Inhalte bevorzugt wiederholen) und (d) des problemlösenden Denkens (z.B. sich bewusst sein, ob man gerade analysiert, Lösungen sucht oder bewertet). Solche Selbstbewusstheit und Selbstkontrolle ist keinesweges selbstverständlich und ist bei Grundschulkindern weit weniger entwickelt als im Jugend- oder Erwachsenenalter. So geben selbst 12-Jährige häufig an, einen Sachtext verstanden zu haben, obwohl es nicht stimmen kann (z. B. weil er widersprüchlich oder lückenhaft ist); und erst bei 12/13-jährigen Kindern kann man auch damit rechnen, dass sie wichtige von weniger wichtigen Textpassagen unterscheiden und danach die Intensität des Lesens und Einprägens ausrichten können.

 

    Es handelt sich hier jedoch nicht nur um eine Altersfrage. Es gibt beträchtliche individuelle Unterschiede auch bei Jugendlichen und Erwachsenen bezüglich ihrer kognitiven und metakognitiven Strategien, und dieser Tatbestand führt zu der Frage nach der Lern- und Lehrbarkeit von effektivem Lernverhalten.

 

    Gewissermaßen als Formalbildung in neuem Gewand erlebt dieses Thema eine Renaissance, wobei man heute auf eine ganze Reihe von Untersuchungen zurückgreifen kann. Beispiel: Kinder der 3. und 5. Klasse werden in Lesestrategien trainiert. Man erläutert ihnen, wie man Texte überfliegt oder Gelesenes zusammenfasst und wann dies sinnvoll einzusetzen ist, man spricht mit den Schülern über das eigene Lernverhalten (z.B. "Hältst Du manchmal inne, um über den Sinn der Sätze nachzudenken?") Solche Trainings haben bisher zu durchaus ermutigenden Ergebnissen geführt (bessere Beherrschung solcher Techniken, besseres Verständnis von Texten u. a.). Dennoch sind manche Fragen noch ungeklärt. So ist etwa im Falle der Lesestrategien noch offen, wie weit solche Trainings bei verschiedenen Kindern unterschiedlich wirken und welche langfristigen Effekte sie mit sich bringen.

 

    Insgesamt legen die bisherigen Erfahrungen nahe, dass es wichtig ist, metakognitive Vorgänge einzubeziehen. Auch und gerade bei lernschwachen Kindern haben entsprechende Trainingsansätze beachtliche Erfolge gebracht. Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass bei problemlösendem Denken die Selbstreflexion über das eigene Vorgehen besonders nützlich ist.

 

Hans–Peter Nolting, Peter Paulus: Pädagogische Psychologie. Grundriss der Psychologie, Band 20. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2. Auflage 1996 (1992), Seite 150 ff.