Liebe stern-Leser!

 

"Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen", hat Johann Wolfgang von Goethe einmal gesagt. Wurzeln, solange sie klein sind, und Flügel, wenn sie größer werden. In der Zeit dazwischen, da spielt sich das Abenteuer Erziehung ab. In Deutschland leben knapp 15 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Ihre Eltern sind jeden Tag gefordert, Aufmerksamkeit zu schenken, Probleme zu meistern, Regeln aufzustellen und Konsequenzen zu ziehen. Ein Drittel, so schätzen Fachleute, sind damit total überfordert und leider oft auch total desinteressiert. Ein weiteres Drittel der Eltern kommt mal besser, mal schlechter zurecht und braucht nur gelegentlich Hilfe und Unterstützung. Allein das letzte Drittel ist wirklich souverän bei der täglichen Erziehungsarbeit, hat ein gutes Verhältnis zum Nachwuchs und kommt höchstens in extremen Situationen mal an seine pädagogischen Grenzen.

 

    Vor allem für das mittlere Drittel der Eltern ist unsere Titelgeschichte gedacht. stern-Redakteurin Anette Lache hat dafür die 100 am häufigsten gestellten Fragen gesammelt, bei Lesern und Kollegen, Freunden und Bekannten, Nachbarn und bei Eltern, die sie auf Spielplätzen, im Zug und in Kindergärten angesprochen hat. Die Fragen haben wir dann renommierten deutschen Erziehungsexperten vorgelegt und sie von ihnen beantworten lassen. Das Ergebnis drucken wir in zwei Teilen: 50 Fragen zum Alter von 11 bis 17, vor allem also zur Pubertät, in dieser Ausgabe. 50 Fragen und Antworten zum Alter bis 10 Jahren folgen in der kommenden Woche.

 

    stern-Redakteurin Anette Lache hat nicht nur selbst schon viel über Erziehung geschrieben. Sie hat das Abenteuer auch hautnah erlebt - als Mutter eines Sohnes, der in der Pubertät nichts ausließ: Schulschwänzen, Verweise, kurzzeitig auch Kiffen, schräge Bekannte. Nach fünf Jahren war der Albtraum vorbei. Der Junge studiert heute deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht und ist der ganze Stolz seiner Mutter.

 

Herzlichst Ihr Thomas Osterkorn

 

100 Fragen ratloser Eltern und 100 Antworten erfahrener Experten

 

Kinder sind wunderbar - und oft sehr anstrengend. Ihre Erziehung wird immer schwieriger, zu vielfältig sind die Anforderungen an Mütter und Väter. Aber keine Angst. Es gibt Fachleute, die für Krisensituationen Rat wissen. Wir haben ihnen die drängendsten Fragen vorgelegt, sie haben geantwortet. Lesen Sie im ersten Teil: 50 Probleme aus dem harten Alltag der Pubertät - und ihre Lösung

 

Kinder sind Welt-Entdecker mit hochtourigem Motor. Sie ruinieren Nächte. Monatelang. Nerven. Jahrelang. Kaum können sie reden, ist "Nein!" ihr Lieblingswort. Sie ziehen dem Nachbarkind die Schippe über den Schädel, richten Plastik-MGs auf ihre Eltern, schneiden Löcher ins Sofa. Regelmäßig werden sie von der schlimmsten Kinderkrankheit, der Langeweile, befallen. Das eigene Mobiltelefon fordern sie spätestens mit acht. Mit neun mögen sie nur noch Fast Food, und Hausaufgaben machen Zehnjährige nur unter strengster Bewachung.

 

    Und das ist gerade Halbzeit. Die zweite - meist noch größere - Herausforderung kommt erst noch: die Pubertät. Und spätestens da gibt es Tage, an denen man den Nachwuchs gern mal dem Astronauten Thomas Reiter mit in den Weltraum geben möchte.

 

    Auch Teenager, die nicht das Extremprogramm fahren mit Komasaufen, Dauerkiffen und Schulverweigerung, können Väter und Mütter an den Rand des Wahnsinns treiben. Wenn sie zicken und rüpeln, provozieren und attackieren. Oder sich völlig zurückziehen. Wenn sie rebellieren und ausrasten. Oder ihre Umwelt mit Verachtung strafen. Wenn sie mit Drogen und Diäten experimentieren, Gefahren und Grenzen ignorieren. Und plötzlich wieder ganz viel Zuspruch und Nähe brauchen.

 

    Typisch Pubertät? Ja, sagen Eltern, die den familiären Ausnahmezustand durchgemacht haben.

 

    Kinder großzuziehen ist harte Arbeit. Zur Entlastung der Eltern muss gesagt werden: Heute ist es ungleich schwieriger, Kinder zu erziehen. Ganz anders als in den Zeiten mit drei Fernsehprogrammen, zwei Turnschuhmarken und Bullerbü-Großfamilie. Globalisierung und Digitalisierung, eine Vielfalt von Wertorientierungen und Lebensformen haben den Alltag stark verändert. Eltern haben eine größere Verantwortung als früher: Sie sind die Koordinationsstelle, sie müssen mehr denn je Orientierung und Halt geben in dieser multimedialen, unübersichtlichen Welt mit den vielen Möglichkeiten.

 

    Gleichzeitig ist die wirtschaftliche Existenz unsicherer geworden. Und Politik und Wirtschaft unterstützen Eltern, die Karriere und Kinder vereinbaren wollen, immer noch zu wenig. "Mütter und Väter sind in Deutschland ziemlich erschöpft", sagt der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann.

 

    Trotzdem machen die meisten Eltern einen guten Job. Aber sie sind oft verunsichert. Und aufgeschreckt durch immer mehr Kinder mit Zappelphilipp-Syndrom, Konzentrations- und Lernstörungen, Aggressionen und Depressionen. In schwierigen Erziehungssituationen wissen sie oft nicht weiter, fühlen sich hilf- und machtlos. Dieses Bedürfnis nach praktischem pädagogischem und psychologischem Wissen spiegelt auch der wachsende Zulauf in Beratungsstellen und in Elternkursen wie "Starke Eltern - starke Kinder", "Step" oder "TripleP". Bücher wie "Kinder brauchen Grenzen" oder "Pubertät - Loslassen und Halt geben" von Jan-Uwe Rogge wurden Bestseller.

 

    Der stern bat Eltern um ihre drängendsten Fragen und ließ insgesamt 100 von Experten beantworten: In diesem ersten Teil finden Sie 50 Fragen von Eltern mit pubertierenden Teenagern. Und nächste Woche 50 Fragen von Vätern und Müttern mit Kindern zwischen null und zehn Jahren. Die Antworten sind keine Patentrezepte. Die gibt es nicht, zu unterschiedlich sind Mentalitäten, Bildungshintergründe und Lebensstile.

 

    Und sie sind für alle Väter und Mütter gedacht, nicht nur für die, die hier konkret gefragt haben.

 

    Sie sollen verstanden werden als Anregung, als Hilfe zur Selbsthilfe, sie sollen dazu beitragen, das Verhalten des eigenen Kindes besser zu verstehen und so entspannter mit ihm umgehen zu können. Einige Antworten sollen auch einfach nur vorbeugendes Wissen liefern.

 

    In der Pubertät (lat. pubertas: Geschlechtsreife) sind Eltern nicht mehr einfach nur Eltern, sie sind immer wieder auch - notwendige - Gegenspieler. Denn nur über Reibung gelingt den Jugendlichen die Ablösung, nur so finden sie ihre eigene Position, entwickeln sie ihr neues Ich. Deshalb ist es so wichtig, dass Väter und Mütter immer wieder in den häuslichen Ring steigen und sich mit dem renitenten Nachwuchs auseinandersetzen. Was verdammt anstrengend sein kann, oft nervt und manchmal verletzt. "Eltern dürfen in der Erziehung gerade jetzt nicht kapitulieren, sondern müssen sie im Gegenteil durch klare Regeln weiterführen“, sagt Erziehungsberater Jan-Uwe Rogge.

 

    Was geplagte Eltern oft vergessen: Für die Jugendlichen ist diese Zeit noch viel schwieriger. Ihr Freiheitsdrang, ihre Rebellion ist nur die eine Seite. Aber da sind auch Fragen, Selbstzweifel, Angst vor den neuen Anforderungen. In der Pubertät, die immer früher einsetzt, krempeln Hormone ihren Körper und damit auch ihre Psyche um. Pickel, sprießende Härchen, wachsende Brüste, die erste Periode, der erste Samenerguss. Launen und Liebeskummer. An den veränderten Körper müssen sie sich erst gewöhnen, mit ihrer Sexualität und ihrer emotionalen Labilität klarkommen. Das stresst und ist häufig mit negativen Gefühlen verbunden.

 

    Inzwischen gehen Wissenschaftler davon aus, dass das Gehirn in dieser Zeit zur Großbaustelle wird, es die Kanäle, auf denen Informationen und Emotionen weitergeleitet und verarbeitet werden, neu justiert. Intensiv benutzte neuronale Netzwerke werden verstärkt, die weniger in Anspruch genommenen schalten sich ab. Längst ist noch nicht alles erforscht. Aber so viel scheint klar zu sein: Die Ausraster, die emotionalen Achterbahnfahrten der Jugendlichen, sind nicht allein mit Hormonschüben zu erklären, sondern wohl auch Nebenwirkung dieser Hirnreifung.

 

    Inzwischen glaubt man zu wissen, dass sich im Frontalhirn, das für vorausschauendes, zielgerichtetes Handeln und dessen moralische Bewertung sowie für die Kontrolle der Emotionen - also für die Vernunft - zuständig ist, die Baustelle befindet, an der am meisten umgebaut wird. Teenager wissen also womöglich tatsächlich nicht immer, was sie tun.

 

    Was aber nicht heißt, dass sich alle Pubertätsexzesse und Stimmungsschwankungen auf den Aufruhr der Hormone und die Bauarbeiten im Gehirn zurückführen lassen. Auch Hirnforscher glauben, dass das Lebensumfeld und die Erfahrungen, die Kinder machen, enorme Rückwirkung darauf haben, was im Kopf passiert. "Wenn Eltern ihren Nachwuchs schon in den Jahren vor der Pubertät stark gemacht haben, kommt er in der Regel besser durch diese schwierige Zeit", sagt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther.

 

    Weniger anstrengend werden diese Jahre aber leider dennoch nicht. Sie müssen da durch. So wie Ihr Kind.

 

Anette Lache, STERN 31/2007, Seite 54 ff.

 

Loslassen und Grenzen ziehen

 

Der Crash-Test: Ihr Kind wird erwachsen. Die Jahre zwischen 11 und 17 - und wie Sie sie überstehen

 

       Unser Sohn berichtet ständig von für uns unglaublichen Taschengeldzahlungen anderer Eltern seiner Freunde. Wie viel Taschengeld ist in der heutigen Zeit für einen 16-Jährigen, der sich weder zu Hause noch in der Schule sonderlich engagiert, eine angemessene Zahlung?

 

    "Taschengeld ist eine höchst individuelle Angelegenheit. Die Höhe lässt sich nicht verallgemeinern. Sie hängt zum Beispiele vom Haushaltseinkommen der Eltern ab, davon, wofür das Geld verwendet wird. Wenn es nur für alltägliche Konsumartikel da ist, braucht die Summe nicht besonders hoch zu sein. Was andere Eltern ihren Kindern geben, darf kein Maßstab sein! Wenn dem Sohn das Taschengeld nicht reicht, dann kann er sich durch kleine Jobs Geld dazuverdienen. Aber für Tätigkeiten im Haushalt gibt es kein zusätzliches Geld. Die Geschirrspülmaschine regelmäßig auszuräumen, den Tisch abzudecken sind Selbstverständlichkeiten, die kostenfrei getan werden sollten. Und dies gilt es, dem Sohn klarzumachen - auch wenn er nicht begeistert sein wird!" Jan-Uwe Rogge, S. 55

 

    Nicolas, 12, ist sich seiner inneren Werte und Stärken wenig bewusst. Er verzettelt sich oft, denkt manchmal zu sehr an andere und vergisst darüber seine eigenen Bedürfnisse. Unsicherheit und Schwäche versucht er mit Kraftmeierei zu überspielen. Wie vermitteln wir ihm mehr Selbstbewusstsein und Souveränität?

 

    "Selbstbewusstsein kann man nicht trainieren wie einen Muskel. Aber Sie können trotzdem einiges tun – und vor allem nicht tun! Ich vermute, Sie haben ihm die typischen Schwierigkeiten, die zur Kindheit gehören, viel zu oft aus dem Weg geräumt. Schlechte Noten, Streit mit einem Freund - Sie waren immer zur Stelle. Lieb gemeint, aber grundfalsch. Selbstvertrauen entsteht nur, wenn ein Kind lernt, dass es sich auf sich selbst verlassen kann - und muss. Verwöhnte Kinder geraten oft in Not, wenn sie sich der Pubertät nähern und den Hang zur Selbstständigkeit in sich spüren. Sie bekommen dann Angst. Was können Sie also tun? Leiten Sie ihn behutsam, aber konsequent zur Selbstverantwortung. Konkret: Sport ist hilfreich. Wenn er sich Mannschaftssport nicht zutraut, dann eben Fechten. Dabei benötigt man hohe Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle. Beides ist gut für ihn. Für die Sommerferien in diesem Jahr suchen Sie ihm attraktive Angebote aus. Etwas, was er ohne Vater und Mutter unternehmen kann. Noch besser wäre, er würde sich selbst etwas suchen, aber so weit ist er wahrscheinlich noch nicht. Ansonsten: Haben Sie Geduld, bleiben Sie gelassen.“ Wolfgang Bergmann, S. 57

 

    Gibt es einen Erziehungsstil, mit dem man sich und seine Kinder am besten durch die Pubertät bringt?

 

    "Erziehen Sie mit Gelassenheit und Humor! Der schönste und effektivste Leitsatz während aller Pubertätswirren lautet: Das geht vorbei! Drei oder vielleicht auch vier Jahre (seufz) – dann beginnt ein neues Leben. Gerade deutsche Eltern meinen, ständig alles unter Kontrolle haben zu müssen. Doch zu keinem Zeitpunkt ist dieses Denken schädlicher als während der Pubertät. Kinder haben jetzt ein Recht auf ein eigenes Schicksal – sogar darauf, mal gehörig auf die Nase zu fallen. Auch Niederlagen gehören zum Erwachsenwerden. Hinterher kann man ihnen wieder auf die Beine helfen.“ Wolfgang Bergmann, S. 58

 

    Wie wichtig ist ein männliches Vorbild für Jungen in der Pubertät?

 

    "Jungen brauchen Väter, Ersatzväter tun es notfalls auch. Fehlen sie, dann hat ein Junge vor allem ab dem zehnten Lebensjahr eindeutig mehr Schwierigkeiten mit seiner pubertären Entwicklung. Viele Jungen spüren das, sie suchen, oft sehr aktiv, Ersatzväter - vom pensionierten Tischlermeister im Nachbarhaus bis zum Lehrer. Die eifrige Mitarbeit zum Beispiel in einer Theater-AG hat oft mehr mit einem männlichen Vorbild dort als mit dem Theaterspielen selbst zu tun, für Sport und Jugendfeuerwehr gilt dasselbe. Am besten ist natürlich ein Mann im Haus. Den kann man sich nicht "backen", aber alleinerziehende Mütter machen oft den Fehler, dass sie bei interessanten Männerbekanntschaften zögern, weil sie fürchten, ihr Sohn werde einen neuen Partner eifersüchtig ablehnen. Das ist ganz selten der Fall. Ersatzväter sind fast immer höchst willkommen. Außerdem: Jungen übernehmen in der Pubertät die männliche Beschützerrolle. Das dürfen sich Mütter nur begrenzt mit einem gewissen freundlichen Humor gefallen lassen, dann sollten sie rechtzeitig klarstellen: Du bist der Sohn, die Autorität in dieser Familie bin ich." Wolfgang Bergmann, S. 58

 

    Unsere Tochter Dora, 11, hat eine Diät angefangen. Sie isst fast nur noch Obst und Salat. Müssen wir uns Sorgen machen, dass sie irgendwann magersüchtig wird?

 

    "Ihre Sorge ist berechtigt. Gerade Mädchen zu Beginn der Pubertät entwickeln über immer rigidere Diäten allzu leicht eine Essstörung. Aber das Problem Ihrer Tochter liegt tiefer: Die Essstörung ist der Versuch, verloren gegangene Kontrolle zurückzugewinnen, Autonomie zumindest dort zu entwickeln, wo sie auch als Kind selbst bestimmen kann: beim Essen. Hier liegt die Lösung: in der Stärkung des Gefühls, dass sie ihr Leben selbst annehmen und gestalten kann. Wenn ihr das in der Familie nicht gelingt, suchen Sie bitte professionelle Hilfe." Gerald Hüther, S. 58

 

    Soll ich über die anscheinend hormonell bedingten An- bzw. Ausfälle und Stimmungsschwankungen meiner früh pubertierenden elfjährigen Tochter gelassen hinwegsehen oder an ihre Vernunft appellieren?

 

    "Wenn die Hormone im Kopf Tango tanzen, sich wichtige Hirnsynapsen im HipHop-Rhythmus bewegen, dann hat es keinen Sinn, an die Vernunft zu appellieren. Ein Merkmal der Pubertät ist, dass die Heranwachsenden in dieser Zeit nicht verstanden werden wollen, weil sie sich selbst überhaupt nicht verstehen und überhaupt nicht einordnen können, was mit ihnen passiert. Sie sind hin und her gerissen zwischen Erwachsensein und Kind-bleiben-Wollen, zwischen unrealistischen Größenfantasien und verstandesmäßiger Durchdringung der Wirklichkeit, zwischen Halt-mich, aber Lass-mich-bloß-los, zwischen Begleitung und dem Wunsch, völlig in Ruhe gelassen zu werden. Elterliche Gelassenheit ist in dieser Phase das Gebot der Stunde, eine Gelassenheit, die aber nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln ist. Mein Tipp: Nutzen Sie die Phasen der Ausgeglichenheit, um den Kontakt zur Tochter herzustellen. Geben Sie ihr Nähe, wenn sie diese will, aber versuchen Sie nicht, einen Kaktus zu umarmen, wenn er stechen will.“ Jan-Uwe Rogge, S. 58 - 61

 

    Unsere Tochter, 14, ist fürchterlich verliebt in Bill von Tokio Hotel und sicher, dass sie nie jemand anderen lieben wird. Soll ich sie ernst nehmen und mit ihr darüber reden?

 

    "Bill ist ein charismatischer Typ: Er sieht gut aus, singt ansprechend, hat oft kluge Gedanken - kurz: Er drückt das Lebensgefühl von vielen - vorwiegend weiblichen - Pubertierenden aus. In ihn kann man seine Träume, Sehnsüchte, seine Fantasien hineinlegen - und dies gefahrlos: Bill ist weit weg, unerreichbar, und dies steigert seine Attraktivität ins Unermessliche. Man ist eine Zeit lang unsterblich verliebt - so lange, bis ein realer Bill (oder wie immer er heißen mag) um die Ecke biegt. Nehmen Sie Ihre Tochter ernst, vor allem die Gefühle, die mit Bill zusammenhängen. Belächeln Sie diese Verliebtheit nicht. Hören Sie ihr zu, Sie werden sehr viel über ihre emotionale Befindlichkeit erfahren! Wenn Sie reden wollen, reden Sie über sich, darüber, in wen Sie sich unsterblich verknallt hatten, als Sie im Alter Ihrer Tochter waren." Jan-Uwe Rogge, S. 58

 

    Was kann ich besser machen, damit mein Sohn Max, 16, nicht ständig vor Playstation, Gameboy oder PC sitzt und seine privaten Kontakte fast komplett übers Chatten führt?

 

    "Fragen Sie Max doch einmal, was er alles kann und auf welche dieser Fähigkeiten und Fertigkeiten er besonders stolz ist. Wenn seine Antworten nur noch mit Computern und Computerspielen zu tun haben, wäre das so ähnlich wie bei magersüchtigen Mädchen, bei denen sich alles nur noch ums Essen dreht. Dann müssen Sie schnellstens gegensteuern, möglicherweise auch mit professioneller Hilfe. Kinder und Jugendliche brauchen - und suchen sich normalerweise auch - Aufgaben, an denen sie wachsen und Leistungen erbringen können, auf die sie stolz sind. Etwa bei einer Sportart, die sie intensiv betreiben, beim Kanubauen oder bei ihrer Musik. Wenn es dafür draußen, im realen Leben, zu wenig Gelegenheit oder Anregung gibt, finden sie in den Computerspielen Ersatz. Das ist das Problem, und dort verbirgt sich auch die Lösung. Vielleicht können Sie mit Ihrem Sohn gemeinsam spannende Alternativen finden." Gerald Hüther, S. 59

 

    Mein Sohn Carl-Seydi ist 11 und schon recht weit für sein Alter. Er fordert immer mehr Freiheiten, zum Beispiel mit seinen Freunden "in der Stadt abhängen", wie er sagt. Darf ich das erlauben? Wie viel Unabhängigkeit ist gut, wann muss ich noch Grenzen setzen?

 

    "Auch wenn Carl-Seydi schon sehr reif wirkt, braucht er zum Ausprobieren einen sicheren Halt. Den erhält er zum Beispiel durch den verbindlichen Einbezug in die Hausarbeit, durch seine Hobbys, kleine Abenteuer im Alltag mit Ihnen (oder seinem Vater) und durch die Schule. Wenn hier alles im grünen Bereich ist, kann er auch mal "abhängen". Einseitige Forderungen seinerseits sind übrigens ein sicherer Hinweis für das Verlangen nach Grenzen!" Angela Jaeger, S. 60

 

    Wir vermuten, dass unser Sohn und seine Freunde, alle 15, seit Kurzem Haschisch rauchen. Was ist Ausprobieren, ab wann beginnt die Gefährdung?

 

    "Probeweise rauchen ist in der Tat weit verbreitet in der Jugendkultur, nach meiner Praxiserfahrung schätze ich, dass etwa ein Drittel aller Jugendlichen wiederholte Cannabis-Erfahrungen hat. Leider ist es auch richtig, dass im modernen Handel eine weitaus kräftigere Drogenwirkung zusammengemixt wurde, als dies vor 20 Jahren der Fall war. Auf die leichte Schulter nehmen dürfen Sie das nicht - Verbote helfen aber auch nicht. Machen Sie Ihrem Sohn klar, dass langfristiger Haschisch-Konsum nachweislich Gehirnzellen schädigt. Erklären Sie es bitte nicht moralisierend, sondern so: "Du bist ein heller Kopf und jetzt auf dem besten Weg, ein bisschen dumm zu werden." Das wirkt! Wirklich riskanten Missbrauch können Sie übrigens gar nicht übersehen, die Augen sind gerötet, die Sprache wirkt verschwommen, eine allgemeine emotionale Instabilität stellt sich ein - dann wird es Zeit, professionellen Rat zu suchen. Aber bitte keinen Rat bei Profis, die sich hysterisch auf das Wort "Sucht" stürzen und vor lauter Moralinsäure zu dem Jugendlichen keinen Kontakt aufbauen können." Wolfgang Bergmann, S. 61

 

    Kann ich die maulende Frage unserer Großen, 11, "Warum muss schon wieder ich spülen?" auch mal einfach mit "Darum!" beantworten, oder muss ich immer alles mit Franka diskutieren?

 

    "Man muss nicht immer pädagogisch wertvoll reagieren. Man kann also auch mal mit "Darum!" antworten. Vor allem, wenn hinter der "Warum"-Frage nicht der Wunsch nach einer rationalen Erklärung steckt, sondern das Bestreben, die Eltern in langatmige Diskussionen zu verwickeln, um ihnen so ein schlechtes Gewissen zu verpassen. Wichtig sind klare Absprachen darüber, wie und in welchem Umfang pubertierende Familienmitglieder Pflichten im Haushalt zu übernehmen haben. Und diese Absprachen kann man auch schriftlich fixieren - Pubertierende sind durchaus "vertragsgeil". Und man glaubt kaum, wie vergesslich Elf- oder Zwölf jährige sein können, wenn es um die Mithilfe im Haushalt geht. Gibt es entsprechende Absprachen, kann man ein "Darum!" umso selbstbewusster äußern." Jan-Uwe Rogge, S. 61

 

    Mein Mann ist fürchterlich ehrgeizig, wenn es um die vermeintliche Fußballkarriere unseres Elfjährigen geht. Er treibt ihn ständig an, und inzwischen muss unser Sohn heulen, wenn er mal kein Tor geschossen hat. Wie wichtig ist Ehrgeiz in diesem Alter?

 

    "Kinder, vor allem Jungs, wollen etwas leisten, wollen sich selbst beweisen, dass sie etwas zustande bringen, worauf sie stolz sind. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Fähigkeit, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Dabei sollten sie unterstützt werden. Das ist gesunder, eigener Ehrgeiz. Wenn sie sich aber in erster Linie anstrengen, um die Erwartungen eines anderen zu erfüllen, wird es problematisch. Dann beginnen sie, dessen Ehrgeiz zu befriedigen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen, weil das, was sie dann leisten, nicht selbst-, sondern fremdbestimmt ist." Gerald Hüther, S. 61

 

    Sobald andere Leute in Sichtweite sind, benimmt sich Karla, 12, völlig unnatürlich. Sie verändert ihre Körperhaltung, spricht gestelzt, als ob sie auf einer Theaterbühne steht. Gehört das bei Mädchen zur Pubertät?

 

    "Ja. Machen Sie sich keine übertriebenen Sorgen. Aber Karlas Geltungsverlangen sollte auch nicht allzu ungehemmt ins Kraut schießen. Sie braucht stabile Eltern, die ihr ein gelassenes Selbstbewusstsein vorleben, die sich über engstirnige Kleidervorschriften und Schönheitsnormen auch einmal hinwegsetzen, die gern lachen (über andere und sich selbst) und ihr gleichzeitig durch 100 unauffällige Gesten jeden Tag zu verstehen geben, dass sie für Papa und Mama das schönste, tollste Mädchen ist. Ansonsten: Geduld, Geduld, das verängstigte Geltungsbedürfnis gehört zur "erblühenden" Pubertät und verwächst sich!" Wolfgang Bergmann, S. 61

 

    Meine Frau und ich haben uns vor einem halben Jahr getrennt. Unsere Große, Emilie, 12, leidet am meisten unter der neuen Situation. Sie wird im Gymnasium immer schlechter, hat keine Lust, etwas dagegen zu tun. "Dann geh ich eben in die Realschule", sagt sie nur, wenn wir sie auffordern, sich mehr anzustrengen. Und: "Ihr habt doch auch aufgegeben." Was sagt man auf solch einen Satz?

 

    "Sagen Sie gar nichts, hören Sie einfach nur zu! Lassen Sie Emilie darüber sprechen, wie schlimm die Trennung für sie ist. Und versuchen Sie zu verstehen, wie verlassen sie sich fühlt. Zeigen Sie konkretes Interesse für ihre schulischen Angelegenheiten! Machen Sie zusammen Hausaufgaben. So spürt Emilie, dass sie ihren Vater nicht verloren hat." Angela Jaeger, S. 61

 

    Unsere Tochter Nele, 12, lügt uns immer wieder an. Was können wir tun?

 

    "Lügen (und Stehlen) sind Teil einer Entwicklungsphase zu Beginn der Pubertät und damit anders zu bewerten und einzuordnen als am Ende dieses Entwicklungsabschnitts. Im Lügen überschreiten die Heranwachsenden normative Grenzen, wollen austesten, wie weit sie gehen können. Das Lügen gehört - so paradox das klingt - zur moralischen Entwicklung. Die Ausbildung von Moral ist ein sehr widersprüchlicher und für alle Beteiligten komplizierter und stressbetonter Prozess. Als Vater und Mutter kommt es darauf an, das Kind haltgebend zu begleiten: Indem man Vorbild ist und in seinen Worten und Handlungen allgemeingültige Normen und Werte vorlebt, eben: nicht zu lügen, sondern aufrichtig und ehrlich zu sein. Und indem man die Lügen aufdeckt - "Du sagst die Unwahrheit!" -, dem Kind das Grenzüberschreitende seines Tuns aufzeigt." Jan-Uwe Rogge, S. 61 f.

 

    Wir sind seit sieben Jahren eine Patchwork-Familie. Bisher kamen mein Lebensgefährte und mein Sohn, 13, prima miteinander aus. Doch jetzt fällt meinem Partner gegenüber immer häufiger der Satz: "Du hast mir gar nichts zu sagen!" Wie sollen wir reagieren?

 

    "Nehmen Sie es als Kompliment, dass er Ihren Partner "herausfordert"! Es zeigt, wie wichtig Ihr Lebensgefährte für Ihren Sohn ist. Ihr 13-Jähriger braucht diese heftige Auseinandersetzung zum Erwachsenwerden und zur Selbstfindung. Für Ihren Partner ist es gewiss oft verletzend, weil Jugendliche so "treffsicher" sind. Das darf er Ihrem Sohn gern zurückmelden." Angela Jaeger, S. 62

 

    Unsere Tochter ist erst 13 und will mit ihrem Freund, 16, schlafen. Wie können wir das verhindern?

 

    "Ehrlich gesagt: gar nicht. Oder genauer: Nur Ihre Tochter kann es verhindern. Ganz offensichtlich hat sie mit Ihnen über ihren Wunsch geredet und damit eine Offenheit an den Tag gelegt, auf die man bei diesem heiklen Thema aufbauen kann. Ihre Tochter ist sich anscheinend nicht sicher, ob sie es will oder nicht, und ruft Sie als Instanz an, die über Lebenserfahrung verfügt. Reden Sie mit ihr, machen Sie ihr die Position klar: "Ich finde, das ist zu früh! Lass dir noch Zeit!" Nur erwarten Sie nicht, dass Ihre Tochter dann freudestrahlend aufspringt und sich bedankt! Darauf kommt es auch gar nicht an. Vielleicht sagt sie ja zu ihrem Freund: "Ich würde ja! Aber meine spießigen Eltern haben es mir verboten!" Dann müssen Sie zwar als Sündenbock herhalten, aber das halten Sie bestimmt aus!" Jan-Uwe Rogge, S.62

 

    "Unsere Familie ist ein einziger Haufen Scheiße", schreit unser Sohn, 13; ich heule, mein Mann brüllt ihn an, der lässt ihn einfach stehen. Wie können wir mit unserem Kind wieder ins Gespräch kommen?

 

    "Ach ja, das nervt! Ist aber alles nicht so schlimm, wenn man eine wichtige seelische Tatsache versteht: Der Junge ist in einer typischen Selbstwertkrise, die er möglichst heftig und aggressiv abzureagieren versucht. Das soll man nicht ganz unkommentiert durchgehen lassen, aber elterliche Großzügigkeit und "kumpelhafte" Gelassenheit sind sinnvoller als väterliches Gebrüll. Und weiter: Wo kann der Junge in seinem seelischen Wirrwarr seine Gefühle ganz ungehemmt ausdrücken? Doch dort, wo er sich trotz allem am meisten aufgehoben, geliebt und sicher fühlt: zu Hause. Hinter dem miserablen Benehmen steckt auch eine tiefe Bindung (und Bindungssehnsucht). Haben Eltern diesen Zusammenhang verstanden, gehen sie gelassener mit den Wutausbrüchen um und wirken just dadurch viel stabilisierender und regulierender als mit Verboten oder Strafen. Damit machen Sie sich nur das Familienleben zur Hölle und zerstören das Vertrauen Ihres Kindes." Wolfgang Bergmann, S. 62

 

    Oskar, 13, hat angefangen zu rauchen. Wir sind Nichtraucher und finden das überhaupt nicht lustig. Was sollen wir tun?

 

    "Jugendliche wollen, dass Eltern deutlich Position beziehen! "Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden!", hieß ein Hamburger Projekt, in dem 13- bis 18-jährige Jungen und Mädchen den laxen Umgang ihrer Eltern mit dem Rauchen kritisierten. "Meinen Kindern werde ich das später verbieten!", war der erstaunliche Tenor. Als Nichtraucher sind Sie sicherlich überzeugender, wenn Sie Oskar deutlich zu verstehen geben, dass Sie sein Verhalten nicht gut finden. Aber auch Raucher sollten couragiert sein und ihre Kinder immer wieder auf die Gefahren aufmerksam machen. Die Jugendlichen hören das, es gibt ihnen Orientierung - auch wenn sie (heimlich) weiterrauchen. Eltern sind keine Freunde. Sie haben die schwierige Aufgabe, präsent zu sein und ihren Kindern immer wieder Entscheidungshilfen anzubieten." Angela Jaeger, S. 62

 

    Bei anderen ist Till, 13, reizend, zu Hause ein Kotzbrocken. Warum ist das so?

 

    "Sie können aufatmen! Bei anderen ist Till reizend. Er hat es in Ihrer Familie gelernt! Begreifen Sie sein Verhalten als den Beginn eines schwierigen Ablösungsprozesses. Es hilft ihm sein kuscheliges elterliches Heim zu verlassen und sich den Weg in ein eigenes Leben zu bahnen. Das übt er dort, wo er sich sicher fühlt: zu Hause." Angela Jaeger, S. 62

 

    Anna-Lena, 13, hat immer Grenzen akzeptiert und ein "Nein" auch als "Nein" verstanden. Ihr Bruder Tom, 11, muss hingegen immer drüber, wenn ihm eine Grenze gesetzt wird. Wie kann ich erreichen, dass auch er Grenzen als solche akzeptiert?

 

    "Dass Tom "generell" Grenzen überschreitet, könnte darauf hinweisen, dass er womöglich eine Wahrnehmungsstörung wie z.B. ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung) hat. Solche Kinder können schlicht das, was sie hören, nicht umsetzen, auch wenn sie das wollten. Dafür braucht es medizinisch-therapeutische Hilfe. Ansonsten finden Sie in einer Erziehungsberatung Antworten auf Fragen, wie: "Die Rolle 'artiges Kind' ist von Anna-Lena besetzt - welche bleibt für Tom? Nur die des Draufgängers?" oder "Wie darf ein 'richtiger' Junge sein?" Unterstützung beim Grenzensetzen erhalten Sie in einem Elternkurs, z.B. "Starke Eltern - Starke Kinder"." Angela Jaeger, S. 63 f.

 

    Inga, 13, schminkt sich auf einmal, als wollte sie nicht in die Schule, sondern auf den Straßenstrich gehen. Soll ich sie mit so viel Farbe im Gesicht vor die Tür lassen?

 

    "Manche Mädchen kleiden sich in Sack und Asche, wenn sie in die Pubertät kommen und sich ihr Körper verändert. Andere inszenieren diesen Wandel grell, krass und überzogen, sie stellen sich dar, provozieren, probieren aus, wie weit sie gehen können, welche Wirkung sie auf ihre Mitwelt haben. Dabei überschreiten sie nicht selten die Grenzen des "guten" Geschmacks, reiben sich an elterlichen Vorstellungen, Normen und Werten. Je mehr Empörung und Kopfschütteln, desto mehr hat die Inszenierung ihren Zweck erfüllt. Sowenig es Sinn macht, die grell geschminkte Tochter nicht vor die Tür zu lassen, so wichtig sind ernsthafte Gespräche mit Inga: Sie sollten ihr vermitteln, dass es Erwachsene gibt, die diese Art von Eigeninszenierung als unpassend und deplatziert empfinden, und auch sexuell labile Männer, die diese Selbstdarstellung als Anmache empfinden können. Reden Sie offen mit Ihrer Tochter!" Jan-Uwe Rogge, S. 62

 

    Wie motiviere ich Thomas, 17, der am liebsten alles hinschmeißen möchte? Er fühlt sich ausgegrenzt und hat, um cool zu wirken, die Schule schleifen lassen, sodass er jetzt das Gefühl hat, um seinen Hals ziehe sich eine Schlinge zu.

 

    ""Motivieren" ist das falsche Wort. Zunächst einmal braucht der Junge Trost. Lassen Sie sich von seinem Alter und seiner Größe nicht täuschen, in ihm ist jetzt viel kindlicher Zorn und noch mehr Traurigkeit. Zweitens braucht er Zuversicht. Niemand kann ihm die besser geben als Sie. Gehen Sie schrittweise vor: Entwickeln Sie gemeinsam mit Ihrem Sohn realistische Ideen, wie er aus der Misere rauskommen kann. Es gibt viele schulische Wege, um attraktive Abschlüsse zu erreichen, nicht nur das Abitur (beim Schulamt erkundigen!). Ist Thomas wieder einigermaßen zuversichtlich - das geht bei Jungen dieses Alters oft verblüffend schnell -, dann, aber erst dann erstellen Sie gemeinsam einen Lern- und Arbeitsplan mit festen Zeiten und festen Regeln. Aber nicht übertreiben! Ein Jugendlicher braucht mehr als immer nur Lernen. Diesen Plan setzen Sie durch - und zwar mit humorvoller, manchmal selbstironischer, immer jedoch absolut unumgänglicher Autorität." Wolfgang Bergmann, S. 63

 

    An der Schule unseres Sohnes Matthias, 11, gibt es einen großen Gruppendruck auf Jungs, die angeblich nicht cool sind. Matthias gilt als so ein Junge, und deshalb hat er auch keine Freunde in der Klasse. Inzwischen retardiert er zum Klassenkasper, so bekommt er wenigstens manchmal Aufmerksamkeit. Was können wir tun?

 

    "Wahrscheinlich ist es genau andersherum: Matthias versucht gewaltsam Aufmerksamkeit zu erzeugen, findet aber die richtigen Mittel nicht, wird zum Klassenkasper und wird dann abgelehnt. Mit "cool sein" hat das alles wenig zu tun! Es besteht die Gefahr, dass hinter seinem Problem eine mehr oder minder ausgeprägte soziale Verhaltensstörung steckt, die mit einem kompetenten Kindertherapeuten geklärt werden sollte. Auf jeden Fall dürfen Sie den Jungen in seiner hektischen Suche nach Aufmerksamkeit nicht noch unterstützen. Finden Sie stattdessen mit ihm gemeinsam heraus, was er besonders gut kann! Viele dieser Kinder haben eine komödiantische Begabung, spielen gern und gut Theater, suchen Sie also eine Theatergruppe für ihn. Außerdem: Laden Sie seine Freunde ein und schauen Sie unauffällig, wie Matthias sich bei ihnen benimmt. Vermutlich versucht er, permanent im Mittelpunkt zu stehen, und wird dadurch immer einsamer." Wolfgang Bergmann, S. 64

 

    Was sind die größten Verhaltensunterschiede zwischen Mädchen und Jungs in der Pubertät?

 

    "Mädchen wollen jetzt immer perfekter und attraktiver werden. Jungen auf ihre Weise auch, aber sie finden oft den richtigen Weg nicht und landen in einer maulenden Unzufriedenheit. Dabei halten sie sich vorwiegend in extrem chaotischen Zimmern auf und strömen nicht selten einen intensiven Körpergeruch aus. Zugleich reagieren besonders Jungen auf kontrollierende Eingriffe von Müttern extrem genervt und sensibel - das hat seine guten entwicklungsbedingten Gründe. Mädchen finden vor allem alles "peinlich", die Mutter vorweg, Papa auch - dem sie aber vieles leichteren Herzens nachsehen. Insgeheim wissen beide Geschlechter, was sie schätzen: selbstbewusste Eltern und wenige Verbote, die aber klar durchgesetzt. Mitunter verlangen sie sogar ganz offen danach." Wolfgang Bergmann, S. 64

 

    Mein Mann hat mir jahrelang die Erziehung überlassen. Jetzt sind unsere Söhne, 13 und 15, in der Pubertät, und er denkt, es bedürfe seiner starken Persönlichkeit. Er spielt den Oberlehrer - mit dem Erfolg, dass der Haussegen jeden Tag schiefer hängt. Soll ich mich raushalten aus diesem Hahnenkampf?

 

    "Ich beobachte bei einigen Vätern eine problematische Tendenz: Sie halten sich sehr lange aus der Kindererziehung heraus, überlassen sie der Mutter. Aber wenn die Kinder dann in die Pubertät kommen, greifen sie wenig sensibel in die Erziehung ein - nach dem Motto: "Frau, du hast lange genug experimentiert, nun lass mich mal machen!" Ich nenne das väterliche "Last-Minute-Erziehung", in der die Väter versuchen, den Heranwachsenden den letzten "Schliff" zu geben, und dabei übersehen, wie sehr sie in Konkurrenz zur Partnerin gehen. Es entsteht ein Gezerre an und um die Kinder - mit der Folge, dass die Stimmung immer schlechter wird und es zu Partnerschaftskonflikten kommt. Deshalb ist es wenig sinnvoll, nur zuzuschauen. Meine Idee: Sie degradieren Ihren Mann, der sich momentan wie ein General aufführt, zum einfachen Rekruten und übernehmen weiterhin die zentrale Erziehungsverantwortung. Binden Sie Ihren Mann dort ein, wo er sich nicht als Oberlehrer aufspielen kann!" S. 64

 

    Unser 14-jähriger Sohn hat sich von seinem Taschengeld ein Springmesser gekauft. Wir haben ihm verboten, es mit in die Schule zu nehmen. Aber abnehmen können wir es ihm doch nicht - es ist schließlich seins, oder?

 

    "Sie müssen es ihm sogar abnehmen, denn für unter 18-Jährige sind Springmesser generell verboten. Und wer hat Ihnen bloß eingeredet, dass Ihr Sohn mit seinem Taschengeld machen darf, was er will? Der Junge ist 14 und keine 34, in seinem Alter rutscht man schnell in Gewaltfantasien, auch wenn die meist viel ungefährlicher sind, als besorgte Eltern fürchten. Insgesamt ist ein Es-gehört- ihm-doch, also das "Besitzdenken", bei Weitem nicht so wichtig wie eine moralische Orientierung und in diesem Fall ein klares Verbot." Wolfgang Bergmann, S. 64

 

    Unser Sohn, 14, hat sich im vergangenen halben Jahr sehr zurückgezogen. Er grübelt viel und wirkt manchmal richtig traurig und verzweifelt. Können Jugendliche schon Depressionen haben?

 

    "Jugendliche, pubertierende Jungs zumal, haben auch schon schwerwiegende Probleme, und die sind oft größer, als wir uns das vorstellen können. Die Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit, von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung können bisweilen so stark werden und so lange andauern, dass daraus eine Symptomatik entsteht, die medizinisch als Depression zu bezeichnen wäre. Solche Kinder brauchen Hilfe. Die Eltern sind dafür gerade während der Pubertät nicht immer am besten geeignet. Vielleicht findet ein Onkel, ein Großvater oder ein Bekannter Zugang zu Ihrem Sohn, wenn nicht, braucht er professionelle Hilfe." Gerald Hüther, S. 64

 

    Mein Mann und ich finden Rituale wichtig. Deshalb bestehen wir zum Beispiel auf einem gemeinsamen Abendessen. Unsere Söhne, 14 und 15, sind völlig genervt davon. Sollen wir nachgeben?

 

    "Auf keinen Fall! Rituale geben Halt, in Ritualen steckt viel Symbolik: Was ist den Eltern im Zusammenleben mit den Kindern wichtig? In welchen Situationen und durch was drückt sich familiärer Zusammenhalt aus? Man kann gegenwärtig beobachten, wie leichtfertig und vorschnell Rituale über Bord geschmissen werden, nur weil sich Pubertierende davon genervt fühlen. Allerdings sollten diese Rituale so gestaltet sein, dass sich alle in ihnen wiederfinden, sie nicht gemacht werden, um elterliche Vorstellungen ex cathedra zu vermitteln. Zum Beispiel könnten Eltern und Kinder den Ablauf abwechselnd bestimmen. Aber der Zeitpunkt der Rituale steht nicht zur Diskussion." Jan-Uwe Rogge, S. 64 - 66

 

    Wir nehmen uns immer wieder vor, unsere Töchter gleich zu behandeln und zu erziehen. Doch im Alltag merken wir, dass wir auf jedes Kind anders reagieren müssen: Die eine hält sich sofort an Absprachen, die andere nur sehr schwer. Dann fühlen wir uns gezwungen, streng zu werden, obwohl wir das eigentlich gar nicht wollen. Muss das so sein?

 

    "Wer Kinder gleich behandelt, nimmt ihre Unterschiedlichkeit - sei es im Charakter oder im Temperament - nicht wahr und nicht ernst. Nicht um Gleichbehandlung geht es mithin, sondern darum, den so unterschiedlichen Kindern gerecht zu werden. Vergleiche nie ein Kind mit einem anderen, sondern nur mit sich selbst, so hat es der Pädagoge Pestalozzi vor über 200 Jahren einmal formuliert. Jedes Kind muss auf seine Art und Weise angenommen werden: Ein Kind, das schnell Absprachen akzeptiert, bedarf der elterlichen Großzügigkeit, ein Kind, das keine Grenzen einhält, braucht eine konsequente Begleitung. Erziehung hat für mich mit Demut zu tun, damit, dass nicht alles so läuft, wie ich es mir in meiner Theorie vorstelle. Wenn man dann noch mehrere Kinder hat, lernt man ständig. Und man begreift: Ich muss den Gedanken loslassen, dass alles so laufen muss, wie ich es einst geplant hatte. Pubertierende wollen keine theoretisch perfekten Eltern, vielmehr gerechte, die den Erziehungsprozess als gemeinsames Lernen mit ihren Kindern verstehen." Jan-Uwe Rogge, S. 66

 

    Warum geht es bei vielen Pubertierenden in der Schule bergab?

 

    "In der Pubertät wird das Gehirn noch einmal regelrecht umgebaut. Da kommt vieles durcheinander, was vorher recht gut funktioniert hat. Betroffen davon ist vor allem das Frontalhirn, von wo aus unter anderem auch Motivation und Frustrationstoleranz gesteuert werden. Und auch die Bewertungen. Es entstehen andere Bedürfnisse und Erwartungen. Kein Wunder also, dass Schule – ebenso wie Familie – in dieser Zeit bei vielen Jugendlichen an Bedeutung verliert." Gerald Hüther, S.66

 

    Durch Zufall haben wir entdeckt, dass sich unsere Tochter, 14, ihre Beine mit einer Rasierklinge ritzt. Warum sieht sie ihren Körper als Feind?

 

    "Das Ritzen hat zwei Bedeutungen: Das offen zur Schau gestellte Ritzen, meist an den Armen, ist Teil einer Jugendkultur: Man stellt sich dar, probiert aus, wie weit man gehen kann. Beim "offenen" Ritzen wird der Körper nicht als Feind empfunden, man inszeniert seine körperlichen Veränderungsprozesse. Und diese sind in der Pubertät für die Heranwachsenden durchaus schmerzhaft. Da entsteht ja nicht sofort der Adonis oder die Venus: Man empfindet sich als unförmig, dick, verwachsen, als hässlich. Und die Proportionen stimmen in der ersten Phase der Pubertät tatsächlich nicht. Das kann so weit gehen, dass man seinen Körper ablehnt, ihn hasst. Und eine Ausdrucksform dieses Hasses ist das verdeckte Ritzen. Es stellt einen extremen Hilferuf dar, auf den die Eltern nur begrenzt Antworten haben können. Sie sind emotional zu nah am Kind, als dass die Tochter (oder der Sohn) auf noch so wohlwollende Worte ihrer Eltern hören. Professionelle Erziehungsberater finden hier schneller einen Zugang, nicht, weil sie besser sind, sondern weil sie eine Distanz haben, auf die sich pubertierende Heranwachsende eher einlassen können." Jan-Uwe Rogge, S. 66

 

    Uns nervt die Telefonitis unserer 14-jährigen Tochter. Stundenlang quatscht und simst sie mit ihren Freundinnen. Wie können wir das einschränken?

 

    "Nervt Sie besonders, dass Ihre Tochter alles andere darüber vergisst? Danach sollten sich Ihre Begrenzungen richten! Erst nach den Hausaufgaben werden Freundinnen "durchgestellt" oder: Keine Telefonate während der Mahlzeiten! So helfen Sie Ihrer Tochter auch, einen Umgang mit ihrer Verfügbarkeit für andere zu finden." Angela Jaeger, S. 68

 

    Aninas Freund Maximilian ist 17 und damit zwei Jahre älter als sie. Jetzt will sie mit ihm freitags und samstags immer bis Mitternacht wegbleiben. Wir bestehen aber auf 22 Uhr. Ist das kleinkariert?

 

    "Was den Aufenthalt in Kinos und Diskotheken anbelangt: Dafür gibt es ein Jugendschutzgesetz, das besagt, dass eine 15-Jährige weder in einer Spätvorstellung im Kino noch in einer Diskothek ohne eine "erziehungsbeauftragte Person" über 18 etwas zu suchen hat. Ausnahmen sind Tanzveranstaltungen, die von einem anerkannten Träger der Jugendhilfe organisiert sind. Geht es um Treffen mit Freunden im privaten Bereich, liegt die Ausgehzeit im Ermessen der Eltern. Manche 15-Jährige wirken so reif, dass sie im privaten Bereich bis weit nach Mitternacht fort bleiben dürfen, manche scheinen noch so unselbstständig, dass die zeitlichen Grenzen enger gesteckt werden müssen. Ich halte es überhaupt nicht für kleinkariert, wenn Sie auf 22 Uhr bestehen, selbst wenn Ihre Tochter Sie als "voll peinlich" empfindet oder Sie mit dem Argument: "Alle anderen dürfen aber!" erweichen möchte. Meine Idee: Bestehen Sie auf 22 Uhr und gestatten Sie, dass Maximilian noch bis 24 Uhr bei Ihnen zu Hause bleiben darf!" Jan-Uwe Rogge, S. 68

 

    Unsere Zwillinge, 16, wollen, dass wir während ihrer Geburtstagsfete außer Haus sind. Ab wann kann man Jugendliche allein feiern lassen?

 

    "Man kann Jugendliche mit 16 Jahren allein feiern lassen. Aber Sie sollten klare Vereinbarungen mit den Zwillingen treffen. Der "Vertrag" kann unter anderem die Zeiten, den Zustand der Wohnung nach der Feier, die Anzahl der Gäste, den Ausschank alkoholischer Getränke und den Notfall regeln. Achten Sie auf das Kleingedruckte. Was passiert, wenn Ihre Kinder sich nicht daran halten, "vertragsbrüchig" werden? Auch das muss vorab verhandelt werden." Angela Jaeger, S. 68

 

    Wenn ich Eileen, 15, auffordere, ihr Zimmer aufzuräumen, sagt sie nur: "Das ist mein Zimmer, da kann ich machen, was ich will." Muss ich das akzeptieren?

 

    "Wenn Eileen nicht auch im Bad, der Küche und im Wohnbereich alles liegen lässt oder es zu stinken beginnt, sollten Sie das akzeptieren. Holen Sie aber bitte nicht die schmutzige Wäsche aus ihrem Zimmer, damit Eileen was Sauberes zum Anziehen hat. Das ist dann auch ihre Sache." Angela Jaeger, S. 68

 

    Verbotene Computerspiele sind für unseren 15-jährigen Sohn offenbar besonders interessant. Reicht es, wenn ich mit ihm über die Gefahr von Gewaltspielen rede, oder soll ich sie ihm verbieten?

 

    "Sie können reden, soviel Sie wollen, das hilft leider überhaupt nicht. Verbieten auch nicht. Jeder clevere 15-Jährige kommt heute an alle Spiele, die er haben will. Wollen Sie ihn etwa den ganzen Tag kontrollieren? Nein, das würde die Bindung zwischen Sohn und Eltern nur vergiften, die viel wichtiger ist als dumme Gewaltspiele. Schön ist es natürlich, wenn Papa oder - selten - Mama selber einiges von den allercoolsten Spielen verstehen und ihrem Sohn statt der dumpfen Baller-Spiele clevere, ästhetisch raffinierte Software vorschlagen - und dann noch ganz beiläufig darauf aufmerksam machen, dass die klugen Spiele für die "Winner" gemacht sind, die anderen für die "Loser". Darauf reagieren 15-Jährige wie eine Katze auf süße Sahne." Wolfgang Bergmann, S. 68

 

    Ich habe Ecstasypillen in der Sweatshirt-Jacke unserer Tochter, 15, gefunden. Sie sagt, sie weiß nicht, wie die hineingekommen sind. Ich bin mir sicher, sie lügt. Was soll ich machen?

 

    "Bleiben Sie ruhig, aber handeln Sie! Informieren Sie sich über Ecstasy, beobachten Sie Ihre Tochter genau, wenden Sie sich an eine Drogenberatungsstelle, die Ihnen hilft, das Thema mit Ihrer Tochter anzusprechen. Sie muss wissen, dass Sie das nicht hinnehmen werden." Angela Jaeger, S. 68

 

    Unsere Tochter, 15, hat seit Kurzem einen 22-jährigen Freund. Müssen wir das tolerieren?

 

    "Es gibt keine gesetzliche Handhabe dagegen, und Sie werden sicherlich Ihre Tochter jetzt nicht ständig bewachen wollen, um ein Treffen zu verhindern. 22-jährige Männer sind sehr unterschiedlich in ihrer Entwicklung. Wichtig ist doch, dass Ihre Tochter die eigenen Grenzen wahren kann und nichts tut, was sie nicht selbst will. Dafür ist wichtig, dass sie das Gefühl hat, offen mit Ihnen reden zu können. Wenn Sie ihren Freund rigoros ablehnen, wird sie bestimmt nicht mit Ihnen über Verhütung oder Probleme, die in der Beziehung vielleicht auftauchen, reden." Angela Jaeger, S. 68

 

    Das Schlimmste an der Pubertät unserer Tochter, 15, ist ihre Angeberei, ihre Überheblichkeit und ihre Besserwisserei. Wie machen wir ihr klar, dass ihr Benehmen völlig daneben ist?

 

    "Ihr Benehmen ist Ausdruck pubertärer Stimmungslagen. Eine Achterbahn der Gefühle! Vielleicht spürt sie Ihre Liebe nicht. Beachten Sie diese Macken einfach einen Monat nicht, sondern heben Sie das hervor, was Ihnen an Ihrer Tochter gut gefällt! Mit etwas Glück macht sie davon dann mehr. Bleiben Sie in Ihrer Kritik konstruktiv: "Dein Ton verletzt mich, ich fühle mich dadurch abgewertet!" statt: "Du bist arrogant!"" (Ich-Botschaften) Angela Jaeger, S. 68

 

    Unser Sohn, 15, hat wiederholt Geld aus unseren Börsen geklaut. Insgesamt über 200 Euro; Hausarrest ignoriert er, andere Sanktionen auch. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen?

 

    "200 Euro sind ein bisschen viel, das bereitet Sorgen. Aber behutsam: Viele Eltern geraten in Panik, wenn Kinder klauen, dabei tun es die meisten, es redet nur keiner darüber. Bei einem 15-Jährigen sieht die Sache allerdings ernster aus. Er müsste eigentlich ein grundsätzliches Gerechtigkeitsempfinden entwickelt haben. Hausarrest ist natürlich Unfug, vergessen Sie diese Strafpädagogik, sie treibt den Jungen nur tiefer in seine Konflikte hinein. Mit einem kundigen Kinderpsychologen sollten Sie abklären, ob sich hinter dem Stehlen möglicherweise tief liegende seelische Probleme verbergen. Im Prinzip gilt immer noch die uralte pädagogische Faustregel: Kinder, die stehlen, fühlen sich ungeliebt. Oder aber: Sie sind verwöhnt, haben gelernt, dass ihnen alles, was sie wollen, sozusagen "zusteht". Neben der notwendigen Abklärung: einfach mal ein geplantes Abendessen in der Pizzeria ausfallen lassen, Begründung: Wir haben kein Geld mehr, hier sind 50 Euro verschwunden! In einem ruhigen Gespräch sollten Sie deutlich machen: Mama und Papa schuften für das Geld, jeder Cent, den sie ihrem Sohn zukommen lassen, ist Ausdruck ihrer Liebe. Ruhig auch mal sentimental werden. Die meisten Jugendlichen reagieren intensiv darauf." Wolfgang Bergmann, S. 68 – 70

 

    Nele will mit Freunden im Sommer in einen Teenager-Ferienclub auf Ibiza. Soll ich das unserer 15-Jährigen erlauben?

 

    "Welches sind die wichtigsten drei Überlegungen, die Sie hindern zuzustimmen? Besprechen Sie diese konkreten Fragen mit Nele. Dann wird sich zeigen, ob Ihre Tochter sich mit Ihnen um eine Lösung bemüht und Verantwortungsgefühl zeigt - oder ob sie nur dagegen angeht. Wenn von Nele nicht mehr kommt als "Alle anderen dürfen aber auch! Du bist gemein!", wenn sie also keinerlei konstruktive Vorschläge macht, dann spricht das für ein deutliches "NEIN" Ihrerseits zu den Urlaubsplänen!" Angela Jäger, S. 70

 

    Mein Sohn, 16, geht im Internet regelmäßig auf Pornoseiten und befriedigt sich selbst. Ist das normal in seinem Alter?

 

    "Ja, und Sie müssen unbedingt seinen "Intimraum" respektieren und dürfen sich nicht kontrollierend einmischen. Die Medienwelt ist voller abstoßender Berichte über sexuelle Abgründe im Internet, die gibt es auch, und das soll nicht beschönigt werden. Aber Selbstbefriedigung mit einem Magazin in der Hand oder vor einer Internetseite - das macht keinen großen Unterschied, was soll daran falsch sein? Übrigens haben fast alle Jugendlichen dieses Alters mitunter leicht perverse Fantasien, Jungen ebenso wie Mädchen (das ist so, auch wenn ich mir damit den Zorn aller pädagogischen Moralisten zuziehe!). Solange Ihr Sohn ein zufriedenes Leben führt und in Schule oder Ausbildung gut mithält, gilt: Seine Sexualität geht Sie nichts an." Wolfgang Bergmann, S. 70

 

    Muss man bei einer 15-Jährigen noch kontrollieren, ob sie die Hausaufgaben auch wirklich gemacht hat, oder liegt das in ihrer eigenen Verantwortung?

 

    "Leider gibt es keinen verbindlichen Regelkatalog dafür. Sie können Ihre Tochter fragen, ob sie die Kontrolle der Hausaufgaben hilfreich oder überflüssig findet. Sie können sie auch fragen, ob und wie Sie sie schulisch unterstützen können. Ein aufrichtiges Interesse am Schulalltag Ihrer Tochter gibt ihr das Gefühl, dass Sie hinter ihr stehen und nicht nur die Leistung zählt." Angela Jaeger, S. 70

 

    Wie führen wir unseren Sohn, 15, verantwortungsvoll an den Umgang mit Alkohol heran?

 

    "Wieso müssen Sie ihn an Alkohol heranführen? Es gibt trotz gegenläufiger Medienberichte sehr viele Jugendliche, die weder trinken noch rauchen. "Führen" können Sie in seinem Alter sowieso nicht mehr, Sie können nur vorleben. Aber das ist nicht einfach. Passen Sie einfach auf, dass nicht bei jedem Abendessen eine Bierflasche für Papa (oder Mama) auf dem Tisch steht, wie wär's mit Apfelsaft? Alkohol sollte auch nicht literweise in der Wohnung herumstehen - aber das ist ja klar, oder? Doch das Wichtigste ist: Ein Jugendlicher, der sich respektvoll und vertrauensvoll an seinen Eltern orientiert, trinkt vielleicht auf Partys ein paar Gläschen mit - wohl auch mal eines zu viel -, wird aber niemals in gefährdeter Weise "abhängig"." Wolfgang Bergmann, S. 70

 

    Charlotte, 15, hat jahrelang liebend gern Klarinette gespielt und auch Unterricht bekommen. Jetzt findet sie das plötzlich doof und will aufhören, Sollen wir zustimmen?

 

    "Wie wichtig ist Ihnen Charlottes Klarinettenspiel? Sprechen Sie mit ihr darüber. Manchmal beeindruckt es die Kinder, zu hören, wie toll ihre Eltern eigentlich ihre Musik finden. Vielleicht können Sie auch mit einem attraktiven Angebot in die Verhandlung gehen? Auch das ist erlaubt. Grundsätzlich aber muss Charlotte jetzt ausprobieren, was gut für sie ist, Sie wird womöglich Entscheidungen treffen, die Ihnen nicht recht sind. "Loslassen" ist leichter gesagt als getan." Angela Jaeger, S. 70

 

    Benjamin, 16, hat inzwischen schon die dritte Anzeige wegen Sachbeschädigung kassiert. Mal zerkratzte er ein Auto, mal randalierte er im Schwimmbad, mal in einem Laden. Immer mit seinen Freunden. Wie können wir diese blinde Zerstörungswut stoppen?

 

    ""Blinde Zerstörungswut" ist vielleicht etwas übertrieben. Aber handeln müssen Sie natürlich. Sie sollten mit Ihrem Sohn, und zwar ohne seine "Freunde", zu dem Geschädigten gehen, wo er sich entschuldigen muss - megapeinlich, aber für einen Jugendlichen durchaus einsehbar! Und dann überlegen Sie alle gemeinsam, wie er sein falsches Verhalten wiedergutmacht. Viele Jugendliche reagieren darauf viel verständnisvoller, als Eltern erwarten. Sind etwa vier Stunden Gartenarbeit o. ä. abgemacht, muss die elterliche Autorität aber auch stark genug sein, auf Einhaltung zu pochen. Und außerdem: Gibt es nicht eine Theatergruppe oder einen Sportverein, in denen Benjamin andere Freunde kennenlernen kann? Lärmend-aggressive Jungengruppen wirken immer ein bisschen dumm, eigentlich sogar ziemlich bescheuert! Mädchen beeindruckt man damit auch nicht. Machen Sie das Ihrem Sohn klar: "Willst du wirklich dazugehören? Zu denen?" - das wirkt viel eindringlicher als alle moralischen Vorhaltungen." Wolfgang Bergmann, S. 70 f.

 

    Unsere Tochter, 16, will weiterhin an den Wochenenden jobben, weil sie sich dann mehr Klamotten leisten kann. Wir sind dagegen, weil sie in zwei Jahren ein gutes Abi machen soll und nicht gerade die Überfliegerin ist. Sollen wir ihr das Arbeiten verbieten?

 

    "Ein gutes Abi ist eine Eintrittskarte, aber keine Garantie für den Erfolg im Leben. Die Erfahrungen, die Ihre 16-Jährige beim Jobben macht, können genauso wichtig sein. Außerdem übernimmt sie Verantwortung, macht sich unabhängig von Ihnen, alles Qualifikationen, die in der Arbeitswelt von Bedeutung sind." Angela Jaeger, S. 71

 

    Mein Sohn, 16, hat zu Hause offen erzählt, dass bei der Party, bei der er gestern gewesen ist, so ziemlich alles in Umlauf war: Marihuana, Speed, Kokain und synthetische Drogen. Er versichert aber, dass er nicht die Absicht habe, dieses Zeug auszuprobieren. Soll ich ihm einfach vertrauen oder ihm Partys, bei denen auch Ältere dabei sind, verbieten?

 

    "Schon die Tatsache, dass er Ihnen vertrauensvoll davon erzählt, ist ein äußerst positives Zeichen. Reagieren Sie jetzt mit harschen und banalen Verboten, erschüttern Sie sein Vertrauen nur - das kann nicht sinnvoll sein. Andererseits ist die sich ausweitende Drogenkultur unter Jugendlichen - neben Haschisch zählen zunehmend Amphetamine und das in vielen Kinderarztpraxen geradezu frei zugängliche Methylphenidat Ritalin dazu (in Amerika schon eine Modedroge für Kids) - ein ernstes Problem. Daran können Sie aber wenig ändern. Sie können nicht mehr tun, als das Vertrauen Ihres Sohnes durch Großzügigkeit und gelassen vorgelebte Werte, liebevolle Bindung und ein spannendes Leben jenseits künstlicher Kicks zu bewahren - das ist der beste Schutz für ihn. Offenbar nimmt Ihr Sohn das auch an, er hat Sie ja informiert." Wolfgang Bergmann, S. 71

 

    Unser Sohn, 16, hat schon zwei Schulverweise wegen Schulschwänzerei. Beim nächsten Verweis fliegt er. Er ist unbelehrbar und hat nach eigenen Angaben einfach "null Bock auf den Scheißladen". Wie bringen wir ihn dazu, wieder regelmäßig am Unterricht teilzunehmen?

 

    "Ihr Sohn braucht jetzt Eltern, die praktische Orientierung bieten. Wenn er mit greifbaren Vorteilen nicht zur Verhaltensänderung zu bewegen ist, sollten Sie mit ihm Alternativen suchen wie zum Beispiel eine berufliche Ausbildung. Das wäre ein Schritt ins "wirkliche" Leben. "Null Bock auf nix" hat er nicht gesagt. Das wäre auch nicht akzeptabel!" Angela Jäger, S. 71

 

Mitarbeit: Frank Gerstenberg, Lydia Gless

 

"Unser Vierjähriger schwindelt ständig. Ist das normal in diesem Alter?" - Im nächsten stern beantworten unsere Experten diese und 49 weitere Fragen von Eltern mit Kindern zwischen null und zehn Jahren

 

Abenteuer Erziehung. Kleine Tyrannen. Eltern fragen - Experten antworten, Teil 1: Pubertät. STERN 31/2007, Seite 54 ff.